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SCHLUSS
TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

4    Die Hochzeit


 
 
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Der weitere Verlauf des Abends zeigte jedoch, daß Laura Asturini sich abermals in Catterina Athenaïs getäuscht hatte. Obwohl Catterina unter ihrer Schleppe und dem Diadem aus massivem Gold nur allzubald feststellte, daß die Heirat mit einem Mitglied der Königsfamilie in erster Linie aus körperlicher Schwerarbeit bestand, gelang es ihr doch, den Weg von der Casa della Torre bis zum Dom mit hocherhobenem Kopf und unbewegtem Gesicht hinter sich zu bringen. Es war kein allzulanger Weg, denn die Casa della Torre befand sich in jener Straße, die auf dem Kamm des langgestreckten Hügels, auf dem Valanta lag, vom Rathausplatz zum Dom führte. Zu beiden Seiten der Straße, die an diesem Abend von zahllosen Fackeln erhellt war, standen dichtgedrängt jene Bewohner der Stadt, die keinen Einlaß in den Dom erhalten hatten, und sahen schweigend zu, wie Catterina, umgeben von einigen der höchsten Würdenträger des Landes, an ihnen vorbeiging. Sie begriff sehr gut, daß dieses Schweigen eine Demonstration der Feindseligkeit war, und reagierte mit ihrer üblichen Arroganz darauf. Laura Asturini, die den Hofdamen folgte, welche Catterinas Schleppe trugen, beobachtete erleichtert, wie Catterina, nachdem sie sich anfangs vom Gewicht der Schleppe hatte niederdrücken lassen, mit jedem Schritt an Haltung gewann, und schöpfte wieder etwas Hoffnung.

Den Gesetzen des Landes zufolge bestand eine rechtsgültige Eheschließung darin, daß zwei bislang unverheiratete ehemündige Personen verschiedenen Geschlechts vor zwei Zeugen die Ringe miteinander tauschten, wobei jede dieser Personen vernehmbar die Worte zu sprechen hatte: "Vor dem Angesicht Gottes und vor den Augen der Menschen nehme ich, — Name —, dich, — Name —, zu meiner rechtmäßigen Ehefrau/zu meinem rechtmäßigen Ehemann." Genauere Aussagen über das Verhältnis der Gatten zueinander wurden dabei nicht gemacht; soweit sie über das durch Gesetz und Herkommen Geregelte hinaus für nötig erachtet wurden, blieben solche Zusatzbedingungen stets einem eigens festzulegenden Ehevertrag vorbehalten.

Fast alles, was man an Pomp und schmückendem Beiwerk um einen so einfachen Vorgang herum entfalten konnte, war in dieser Nacht im Dom der Stadt Valanta aufgeboten worden. Der Bischof von Valanta zelebrierte einen feierlichen Gottesdienst, wobei ihm vier Pfarrherrn der Stadt und sechs Mitglieder des Domkapitels assistierten, und die Musikakademie führte die längste ihrer Festmessen dazu auf. Es war unbestreitbar ein sehr beeindruckendes Werk, und Catterina Athenaοs hörte mit gesammelter Aufmerksamkeit zu; hätte der Stadtvorsteher ihr seine Frage einen Tag später gestellt, wäre sie durchaus in der Lage gewesen, ihm eine detaillierte Antwort zu geben, die obendrein nicht in allen Punkten positiv ausgefallen wäre. An mehreren Stellen, die ihr mißfielen, runzelte sie leicht die Stirn. Trotz dieses gelegentlichen Mißfallens vergaß sie über dem Zuhören völlig ihre Angst; erst die ebenso langwierige wie langweilige Ansprache des Bischofs erinnerte sie wieder daran. Während des ganzen Gottesdienstes vermied sie es, Raffael de Roccaferrata anzusehen. Von Zeit zu Zeit blickte sie jedoch auf seine Hände nieder und dachte jedesmal daran, daß diese Hände sich später in der Nacht an ihren Kleidern zu schaffen machen würden; und ihre Angst mischte sich zunehmend mit Trotz und Widerwillen.

Hätte die Herzogin von Catterinas Gefühlen gewußt, wäre sie natürlich empört gewesen. Obwohl sie die Heirat von ganzem Herzen mißbilligte, und trotz der wenige Tage zuvor eingetretenen Entfremdung war Laura Asturini doch — ganz besonders in dieser Nacht — sehr stolz auf ihren jüngeren Bruder. Von allen lebenden Mitgliedern der Königsfamilie verfügte er als einziger über ein anziehendes Äußeres und gewinnende Manieren, und Laura Asturini hatte sein Bemühen, sich allerorten beliebt zu machen, stets weit besser zu würdigen gewußt als der Fürst von Orsino. In dieser Nacht wirkte er zudem hinreißend eindrucksvoll in dem purpurfarbenen Anzug — neben Weiß und Schwarz war Purpur eine der Farben des Königshauses und als einzige allein dem Königshaus vorbehalten —, der wie Catterinas Kleid mit den Wappenzeichen der Roccaferrata, silbernen Rosen und Hermelinkreuzen, bestickt war. Laura Asturini wünschte ihrem Bruder nichts Böses. Sie hatte beobachtet, daß er gelöst und glücklich lächelte, als der Herzog ihm vor Beginn des Gottesdienstes Catterina zuführte; und da sie die Schwäche vieler Menschen teilte, bei feierlichen Ereignissen rührselig zu werden, war sie zuletzt sogar bereit anzunehmen, daß diese Heirat gute, wenngleich nicht offensichtliche, Gründe haben mochte. Als Don Raffael sich nach der Ansprache des Bischofs zur wesentlichen Zeremonie des Abends erhob, stand er vor dem Altar — breitbeinig, hochaufgerichtet und siegesbewußt — wie ein junger Gott: es ließ sich einfach nicht leugnen, daß er der Familie in jeder Weise Ehre machte. Wenn man das doch auch von seiner Frau hätte sagen können! Aber die Bedenken, die Laura Asturini in dieser Hinsicht quälten, schienen Don Raffael nicht anzufechten: er wirkte unverändert gelöst und glücklich, als er den Ring an Catterinas Finger steckte, wobei er mit sicherer Stimme die vorgeschriebene Formel sprach.

Catterinas Erwiderung freilich war geeignet, der Herzogin Alpträume zu verursachen. Sie nahm nur zögernd und mit sichtbarem Widerstreben den Ring von dem Kissen, das man ihr hinhielt, und wog ihn weit länger, als nötig gewesen wäre, zwischen ihren Fingern, bevor sie ihn — wiederum mit schauriger Langsamkeit! — an die Hand ihres Gatten steckte. Dabei sprach sie die Formel in einer Weise, die keinen Zuhörer darüber im Zweifel lassen konnte, daß jedes Wort, wenn es über ihre Lippen kam, einen Sieg über den Wunsch, es nicht auszusprechen, bedeutete. "Vor dem Angesicht Gottes und vor den Augen der Menschen nehme ich, Catterina Athenaïs Benocchio, dich, Raffael Felizio Orban Géttano de Roccaferrata, zu meinem rechtmäßigen Ehemann." Die Herzogin hätte nie für möglich gehalten, daß es so lange dauern könne, bis dieser gewiß nicht allzu umfangreiche Satz ausgesprochen war. Catterina kämpfte hörbar mit jedem einzelnen Wort; sie hielt mehrmals inne und setzte wieder neu an. Zwischendurch hob sie zum ersten Mal in dieser Nacht den Blick zum Gesicht des Mannes, den sie im Begriff war zu heiraten — und stockte neuerdings, diesmal noch länger als zuvor.

Es waren bange Minuten für Laura Asturini, vor allem, da sie erst jetzt begriff, daß Catterinas schroffe Weigerung, den Ehevertrag zu lesen, keineswegs nur dem Wunsch entsprungen war, sie zu kränken — und daß die Angst, von der Catterina früher am Abend geschüttelt worden war, nicht als bloße Aufregung vor dem feierlichen Ereignis erklärt werden konnte. Wie ungeheuerlich es immer sein mochte — diese unbedeutende junge Frau schloß eine so glänzende Ehe gegen ihren Willen und legte dabei noch Wert darauf, alle Welt möglichst deutlich von ihrer Abneigung zu unterrichten! Die Herzogin glaubte vor Scham in den Boden versinken zu müssen; jedesmal, wenn Catterina stockte, hielt sie entsetzt den Atem an und erwartete, im nächsten Moment ein offenes Bekenntnis der Weigerung zu hören.

Erst als Catterina zuende gesprochen hatte, ohne daß der befürchtete Skandal eingetreten wäre, wagte die Herzogin ein wenig aufzuatmen. Sie erholte sich freilich noch tagelang nicht gänzlich von dem durchlebten Schrecken, und die Blicke, mit denen sie ihren jüngeren Bruder bedachte, während der Bischof den Segen sprach und der Abschlußchoral erklang, waren voll verständnislosen Mitleids. Am Ende der Zeremonie, als Raffael de Roccaferrata sich umwandte und seine Frau aus der Kirche führte, war sie sogar um seinetwillen erleichtert festzustellen, daß die Kränkung, die Catterina ihm zugefügt hatte, ihn scheinbar unbeeindruckt ließ. Er sah nicht weniger ungezwungen heiter aus als zuvor — nein, mehr noch: geradezu triumphierend.

Während sie dem frischvermählten Ehepaar zum Ausgang folgte und ihren Platz in dem Hochzeitszug einnahm, der die beiden vom Dom zur Casa Reale begleiten sollte, war die Herzogin eine Beute schwärzester Vorahnungen. Und ebensowenig wie alle anderen Hochzeitsgäste hätte sie es für möglich gehalten, daß die Ehe, deren Beginn sie gerade miterlebt hatte, und die von seiten der Frau mit soviel offenkundigem Widerwillen eingegangen worden war, im Gedächtnis der Nachwelt — zumindest bis zur Wiederentdeckung des Ehevertrags — als die glücklichste des ganzen Jahrhunderts gelten würde.


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
4. Die Hochzeit/S