Schon gut, schon gut, ich verstehe es ja -- man möchte doch wissen, wer das wann, wo, wie und warum geschrieben hat! Aber bitte bedenken Sie:
"Ein Romanschriftsteller, der noch keinen veröffentlichten Roman vorweisen kann, hat gesellschaftlich ungefähr das gleiche Ansehen wie ein Stadtstreicher. Sollte es sich herumsprechen, werden sich Ihre Freunde über Sie lustig machen. Ihre Nachbarn werden anfangen zu reden. Ihr Onkel Albert wird Sie zu überreden versuchen, Chiropraktiker zu werden, und Tante Mathilda wird Sie beiseite nehmen und Sie über die rauhe Wirklichkeit des Lebens und über die Verpflichtungen eines Erwachsenen aufklären. Ihre Gläubiger werden Sie belagern. Ihre Mutter wird zu Ihnen halten, aber nachts wird sie ihr Kopfkissen vollheulen, wenn sie darüber nachdenkt, was sie wohl bei Ihrer Erziehung falsch gemacht hat."
Diese hochgradig beherzigenswerten und hochgradig wahren Sätze sind dem Buch Wie man einen verdammt guten Roman schreibt von James. N. Frey entnommen (1993 Hermann-Josef Emons Verlag, ISBN 3-924491-32-1): ein Buch, das mir leider erst verdammt spät in die Hand fiel, als ich mitten im 22. Kapitel steckte und kaum noch eine Chance hatte, seine Ratschläge und Warnungen zu beherzigen. Haben Sie Verständnis dafür, wenn ich hier einen Bruchteil des Versäumten nachhole.
Übrigens bin ich auch eine entschiedene Gegnerin dieser nicht endenwollenden Versuche, das Werk eines Künstlers aus seiner Persönlichkeit und seiner Biographie heraus zu erklären. Solche Versuche gehen stets auf Kosten der Wirksamkeit des "erklärten" Werks: plötzlich gilt nur noch für einen einzigen Fall, den des Schöpfers, was doch meist in der Absicht geschaffen wurde, für möglichst viele Menschen zu gelten.
Nun könnte ich mich natürlich mit der beliebten Phrase "Wurde am ... geboren in ..., lebt heute als ... in ..." aus der Affäre ziehen; aber seien wir ehrlich: das ist schon ein bißchen arg lapidar. Machen wir also für ein etwas genaueres Bild eine etwas längere Liste.
Die Autorin- wurde im sechsten Jahrzehnt des verflossenen Jahrhunderts in einer bayerischen Kleinstadt geboren
- ist in dieser Kleinstadt aufgewachsen und zur Schule gegangen
- ist mit Sicherheit nie ein As im Fach Musik gewesen
- hat ein geisteswissenschaftliches Studium erfolgreich abgeschlossen
- ist seit dem 14.9.1979 ihrer eigenen Einschätzung nach mehr als bloß ziemlich glücklich verheiratet
- schreibt aus Prinzip niemals Kurzgeschichten oder Gedichte
- könnte auch einen Roman über ihre Referendars-Erlebnisse in einer bayerischen Seminarschule und einer bayerischen Zweigschule schreiben, unterläßt dies aber schon deshalb, weil man sie angesichts des geschilderten Irrsinns zwangsläufig beschuldigen würde, eine zu blühende Phantasie zu haben
- hat nach der Beendigung ihres Referendariats vierzehn Jahre hindurch hauptsächlich an dem hier vorgelegten Roman gearbeit -- mit einer Pause von zwei Jahren, in der sie von "der rauhen Wirklichkeit des Lebens und den Verpflichtungen eines Erwachsenen" eingeholt wurde
- hat, als sie den Roman mehr so zum Spaß und als Ablenkung begann, eigentlich nicht geahnt, wie er sich entwickeln würde
- zweifelt schon deshalb an ihrer Befähigung zur Bestsellerautorin, weil sie bisher weder von der Sozialhilfe lebt noch im indischen Dschungel Tiger gejagt hat
- liebt in ihrem Roman ganz besonders die Kapitel 18 und 21
- hat fünf Lieblingsschriftsteller, nämlich Robert Musil, Michail Bulgakow, Jaroslav Hasek, Henry Fielding und Jane Austen, und würde nicht im Traum daran denken zu behaupten, ihr Roman sei auch nur annähernd so gut wie etwas, das diese fünf geschrieben haben
- hält -- aber das haben Sie sicher schon gemerkt -- die neue deutsche Rächts Schrei bung für ausge Macht en schwach Sinn und könnte es sich auch gar nicht Leisten, sie anzuwänden: versuchen Sie einmal auszurechnen, um wieviel dicker der Roman noch wäre, wenn man mindestens jedes zweite schlanke"ß" darin durch ein doppelt schmerbäuchiges "ss" ersätzen würde!
- glaubt nicht, daß ihr Roman deshalb unzeitgemäß ist, weil er im sechzehnten Jahrhundert und in einem erfundenen Königreich spielt. An einem Königshof wurde vermutlich etwas mehr getanzt als in jeder beliebigen kleineren, mittleren oder größeren GmbH, KG etc. des 20. Jahrhunderts, und die Männer waren damals gottlob nicht so schrecklich ameisenfarben-uniform gekleidet wie heute; aber sonst...
In der Hoffnung, daß Sie der Leser sind, den ich mir wünsche, und diesen Unterschied auch nicht für wesentlich halten, verbleibe ich mit dankbaren Grüßen Ihre sehr ergebene
PIA FRAUSS
TAURIS von Pia Frauss
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