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KAPITEL ANFANG |
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5 Die |
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Die unkonventionelle Art, in der die Heirat zwischen Catterina Athenaïs Benocchio und Raffael de Roccaferrata zustande gekommen war, machte sie ebenso zu einem außergewöhnlichen Ereignis wie die bescheidene Abstammung der Braut. Seit vielen Generationen hatte keines der untergeordneten Mitglieder des Königshauses seine Wahl selbst getroffen; denn es war ein — wenngleich ungeschriebenes — Gesetz, daß deren Eheschließungen vom regierenden König befohlen und in die Wege geleitet wurden. Dieser pflegte dabei meist recht penibel die sogenannte Reihenfolge zu beachten, will sagen, das Prinzip, alle Herzogshäuser des Landes, soweit die Existenz heiratsfähiger Söhne und Töchter es zuließ, reihum und möglichst gerecht mit einer königlichen Partie zu versorgen. Don Raffael verdankte die ganz unübliche Freiheit, mit der er seine Lebensgefährtin wählte, dem beharrlichen Schutz seines älteren Bruders. Der Fürst von Orsino hatte in den vergangenen fünf Jahren alle Versuche des Königs, Don Raffael zu verheiraten, zum Scheitern gebracht und nie einen Zweifel daran gelassen, daß er in dieser Frage keine königlichen Befehle akzeptieren würde. Offenbar wollte er in seinem Haus ebensowenig eine Schwägerin dulden wie eine Ehefrau; und Don Raffael hatte sich bislang mit dem — freilich nie offen ausgesprochenen — Heiratsverbot abgefunden, so daß er als Dreiundzwanzigjähriger immer noch Junggeselle war, obwohl das übliche Heiratsalter zwischen achtzehn und einundzwanzig Jahren lag. Daß Don Raffael nun plötzlich den Wünschen seines Bruders zuwiderhandelte, war genauso verwunderlich wie die Bereitwilligkeit, mit welcher der Fürst seinen Entschluß und seine Wahl unterstützte; und es blieb daher nicht allein Laura Asturini vorbehalten, über Ursachen und Hintergründe der Heirat nachzugrübeln. Gar mancher, der sich von Amts wegen oder zum Privatvergnügen mit Politik befaßte, verlegte sich in diesen Wochen aufs Rätselraten. Vor allem in den Korridoren, Kammern, Kabinetten und Salons der Königsburg zu Atthagra wurde wenigstens zwei Monate lang kein anderes Thema mit ähnlicher Hingabe erörtert. Hitzige Diskussionen konnten dabei freilich nicht entstehen, denn die Höflinge und Hofdamen vertraten von vornherein allesamt dieselbe Meinung: daß Don Raffael, wie sehr es auch den Anschein haben mochte, keine Neigungsehe einging. In seinem Wahnsinn müsse irgendeine Methode stecken. Man sei ja einiges von Don Raffael gewöhnt, so flüsterten die Tollkühnsten ihren vertrautesten Freunden zu, nachdem sie sich vorsichtshalber mehrmals in alle Richtungen umgeblickt hatten, aber so dumm — nein, wirklich, so dumm könne nicht einmal Don Raffael sein! Einigkeit herrschte auch über die Undurchdringlichkeit des Dunkels, das die tatsächlichen Gründe der Heirat verhüllte, und über die desaströsen Folgen, die sie für Don Raffael haben mußte. Aber selbst die Gewitztesten unter den Höflingen verfielen nicht darauf, das angeblich so geheimnisvolle Motiv für die Heirat gerade in diesen allenthalben besprochenen und beklagten desaströsen Folgen zu vermuten — wie denn auch! Das schien ebenso widersinnig, wie es offensichtlich war. Und tatsächlich: welche persönlichen Motive Raffael de Roccaferrata immer bewogen haben mochten, gerade Catterina Athenaïs zu wählen — für seine Entscheidung, ein bürgerliches Mädchen von plebejischer Herkunft zur Frau zu nehmen, und für die Eile, mit der die Eheschließung betrieben wurde, gab es handfeste politische Gründe. Diese Heirat war ein zwar indirekter und inoffizieller, aber darum nicht weniger bewußter, demonstrativer und endgültiger Verzicht auf die Thronfolge. Um die Nachkommenschaft der Familie Géttano de Roccaferrata war es zur Zeit von Don Raffaels Heirat herzlich schlecht bestellt. Der König, Clemens Felizio de Roccaferrata, war ein alter Mann von fast siebzig Jahren; aus seiner ersten Ehe mit einer Tochter der Familie Barri waren sechs Kinder hervorgegangen, von denen jedoch nur drei das Erwachsenenalter erreichten. Auch diese drei starben schon in jungen Jahren, und nur der älteste Sohn hatte vor seinem Tod noch Gelegenheit gefunden, ein legitimes Kind zu zeugen, dessen Geburt er allerdings bereits nicht mehr erlebte. Eine zweite Ehe des Königs erwies sich als noch weniger erfolgreich: nach mehreren Fehlgeburten und einer Totgeburt starb diese Frau im Kindbett. Der einzige Bruder des Königs, Giuliano de Roccaferrata, hatte im Jahr 1519 die Nachfolge eines kinderlosen Onkels als Fürst von Orsino angetreten. Giulianos Frau, die Bankierstochter Maria dei Bendetti, brachte zwischen 1517 und 1536 mit schöner Regelmäßigkeit fast jedes Jahr ein Kind zur Welt. Auch von diesen fünfzehn Kindern jedoch erwiesen sich nur drei Söhne und zwei Töchter als lebensfähig; schließlich, um die Familientragödie vollständig zu machen, starben die beiden ältesten, der Sohn Alessandro und die Tochter Lucía, im Juni 1538, zur gleichen Zeit und unter äußerst mysteriösen Umständen. Beim Tode dieses Fürsten von Orsino im Jahr 1540 lebten folglich nur noch drei von seinen ehelichen Kindern: Francesco, Laura und Raffael de Roccaferrata. Jetzt, achtzehn Jahre später, stand Francesco de Roccaferrata, kinderlos wie soviele Fürsten von Orsino vor ihm, selbst am Rand des Grabes, und Laura Asturini hatte vorschriftsgemäß bei ihrer Eheschließung auf alle Erbansprüche verzichtet und den Familiennamen abgelegt. Die Zukunftshoffnungen des Königshauses ruhten daher ausschließlich auf Don Raffael und auf Philipp de Roccaferrata, jenem Enkel des Königs, den sein frühverstorbener ältester Sohn ihm hinterlassen hatte. Im Jahr 1558 war Philipp de Roccaferrata ein auf den ersten Blick recht bieder wirkender junger Mann von sechsundzwanzig Jahren. Da seine Mutter sich schon vor seiner Geburt das dauerhafte Mißfallen des Königs zugezogen hatte, war sie zum frühestmöglichen Zeitpunkt wiederverheiratet und bei diesem Anlaß auf den Stammsitz ihres neuen Gatten verbannt worden. Don Philipp war daher ausschließlich unter der Obhut seines könglichen Großvaters aufgewachsen; das heißt, er hatte sein ganzes Leben am Königshof verbracht und war dort von einer Unzahl rasch wechselnder Lehrer und Offiziere erzogen worden. Wie die meisten Mitglieder des Königshauses war er nicht häßlich, aber auch nicht übermäßig mit Schönheit gesegnet; von Natur aus auffallend groß und breit gebaut, bekämpfte er seine Neigung zur Korpulenz erfolgreich durch ausgiebige sportliche Betätigung. Den Großteil seiner Zeit verbrachte er infolgedessen mit Jagen, Reiten und Schwimmen; soweit er sich mit Studien befaßte, hatte sein Interesse von jeher den Rechtswissenschaften gegolten. In diesem Fach war er ungewöhnlich bewandert, während seine Kenntnisse auf allen übrigen Gebieten lückenhaft blieben. Seit dem Eintritt seiner Großjährigkeit umgab er sich mit einem Hofstaat jugendlicher Günstlinge aus meist unbedeutenden Adelshäusern. Diese Günstlinge wechselten freilich noch rascher als einst seine Lehrer. Im Alter von sechsundzwanzig Jahren war er noch immer unverheiratet und niemals offiziell zum Thronfolger ausgerufen worden, obwohl alle Welt sich längst daran gewöhnt hatte, ihn als solchen zu betrachten und zu bezeichnen. |
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TAURIS Roman von Pia Frauss 5. Die Hochzeitsnacht/A |