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MITTE
TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 


Laura Asturinis Haube


(Auszug aus Kap. 4)


 
 
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Die ausgestandene Angst, eine durchwachte Nacht und eine Börsensitzung, die gerade so unerfreulich verlief, wie er es sich vorgestellt hatte, führten dazu, daß Raffael de Roccaferrata, als er am Abend in der Casa della Torre vorsprach, sich in einem Zustand fortgeschrittener Gereiztheit befand. Er verblüffte die Herzogin, die ihn bis dahin stets als einen gefälligen und höflichen Menschen gekannt hatte, indem er sie sofort nach der Begrüßung anherrschte: "Ich muß annehmen, daß Ihr von allen guten Geistern verlassen seid! Was fällt Euch ein, Don Francesco mit derart lächerlichen Kleinigkeiten zu belästigen?"

"Lächerliche Kleinigkeiten!" wiederholte die Herzogin fassungslos. "Es geht schließlich um nichts Geringeres als um meine Autorität bei Hofe! Wenn meine Schwägerin sich weigert, meine Kleidervorschriften zu beachten, kann ich mich einen Tag nach ihrer Vorstellung beim König ins Privatleben zurückziehen!"

Don Raffael begriff mühelos, wie berechtigt dieser Einwand war; das besänftigte ihn allerdings keineswegs. "Wenn es wirklich soweit kommen sollte," versetzte er deshalb unvermindert heftig, "dann werdet Ihr zum wenigsten den Trost haben Euch zu sagen, daß Ihr es durch Eure eigene Dummheit dahin gebracht habt!"

Die Herzogin stand zwar zu Recht im Ruf außergewöhnlicher Dickfelligkeit; aber jetzt fühlte sie sich doch in ihrer Würde gekränkt. Sie setzte sich umständlich, wandte ihrem Bruder ein hochrotes Gesicht zu, lud ihn mit einer ungnädigen Handbewegung ein, sich gleichfalls zu setzen, und teilte ihm dann so steif wie möglich mit, daß sie sein Benehmen für hochgradig beleidigend halte; im übrigen sei sie sicher, daß der Vorwurf der Dummheit jeglicher Grundlage entbehre.

Leider stellte sich heraus, daß Don Raffael zu diesem Thema sehr viel zu sagen hatte. Er war aufgebracht genug, um sich schonungslos offen über die Grundlagen seines Vorwurfs zu verbreiten; schließlich, hatte er Laura Asturini nicht frühzeitig gewarnt? Hatte er ihr nicht von jeher prophezeit, daß sie sich auf eine Machtprobe mit einer noch unbekannten Gegnerin einließ? Daß die allseits verhaßte Neuerung nur so lange unangefochten bleiben würde, wie sie die ranghöchste Dame des Hofes war? Daß sie ihr Ansehen und ihren Einfluß aufs Spiel setzte, als sie den Überredungskünsten ihres Schneiders zum Opfer fiel und den Hofdamen eine Mode aufzwang, die niemand außer diesem Schneider glücklich machte? Soweit es sich um den Schneider handelte, hatte sie gewiß ein gutes Werk getan; monatelang war keiner seiner Konkurrenten imstande gewesen, das Teufelsding richtig nachzuarbeiten, und der Vielbeneidete hatte in dieser Zeit genug Geld verdient, um sich ein Weingut in Castelmaretta zu kaufen. Gute Werke, die man an seinem Schneider tat, pflegten sich nur, leider, höchst selten auszuzahlen. Er selbst, Don Raffael, war damals erst neunzehn Jahre alt gewesen; aber sein Mangel an Erfahrung hatte ihn nicht gehindert vorauszusehen, was jetzt geschah. Warum wohl, wenn sie nicht dumm war, hatte seine weltgewandte Schwester diesen Weitblick nicht besessen? Und wenn sie damals schon dumm gewesen war, so war sie seither offenbar nicht klüger geworden. Denn als das Unglück eintrat, daß eine Person, die ihr im Rang zumindest ebenbürtig war, sich ihren Vorschriften widersetzte, da hätte sie es keinesfalls auf einen offenen Streit ankommen lassen dürfen. Dies war die zweite Dummheit, die sie begangen hatte, und allem Anschein nach eine noch größere als die erste.

"Wollt Ihr etwa behaupten, das sei meine Schuld? Es war schließlich Eure Braut, die diesen Streit vom Zaun gebrochen hat!"

"Natürlich war es Eure Schuld und Eure Unbesonnenheit," sagte Don Raffael streng, "denn im Gegensatz zu Euch hat meine Braut keine Erfahrung mit höfischen Umgangsformen. Wenn sie sich jetzt in Eurem Haus aufhält, dann doch wohl zu dem Zweck, solche Umgangsformen von Euch zu lernen; und daß sie bisher offenbar nur wenig gelernt hat, kann ich ihr nicht zum Vorwurf machen; denn es sieht nicht so aus, als ob Ihr ein beherzigenswertes Vorbild geboten hättet."

"Und was hätte ich Eurer Meinung nach tun sollen, als Eure Braut sich — vor dem Schneider, vor meiner Zofe und vor Bernarda Cavvacordi! — weigerte — entschieden und mit verletzenden Äußerungen weigerte —, die Haube auch nur anzuprobieren?" beharrte die Herzogin.

Nun also! Vor Zeugen! Don Raffael schnaubte vor Empörung und erkundigte sich dann, ob seine Schwester wirklich eine Antwort auf diese Frage benötige — sie, die seit Jahren den Hof beherrsche und einen widerborstigen Ehemann am Gängelband führe?! Waren ihr die Erfolge in letzter Zeit so leicht in den Schoß gefallen? Sei es so schwer, ein bißchen Versöhnlichkeit wenigstens zu heucheln? Natürlich hätte sie als erstes alle Zeugen wegschicken und ein vertrauliches Gespräch beginnen müssen, bei dem sie zunächst einmal volles Verständnis für Catterinas Widerwillen bekundete: "Wenn Ihr zum Beispiel zugegeben hättet, daß es wirklich ein sehr unbequemes Kleidungsstück ist, dann hättet Ihr noch nicht einmal gelogen! Als nächstes hättet Ihr die Haube als Übergangslösung bezeichnen und behaupten können, Ihr dächtet längst darüber nach, eine andere Kopfbedeckung einzuführen; aber das ließe sich leider nicht von heute auf morgen machen, und vorläufig hinge eben Eure Position bei Hofe davon ab, daß Eure Anordnungen von jedermann befolgt werden, den sie betreffen... Und wenn das alles nichts genützt hätte — was ich übrigens nicht glaube —, so hättet Ihr das Ganze noch durch eine drastische Schilderung der Nachteile würzen können, die Euch daraus erwachsen werden, daß meine Frau Eure Kleiderordnung mißachtet. Ihr hättet nur ausführlich von dem tristen Leben zu sprechen brauchen, das Euch in Torrevecchia im Haus Eures knausrigen Eheherrn erwartet; das hätte fraglos Wunder gewirkt! Sobald Ihr an ihre Einsicht und ihr gutes Herz appelliert hättet, hätte meine Braut Euch ihre Unterstützung gewiß nicht verweigert. Aber Ihr müßtet sie nun lange genug kennen, um das selbst zu wissen; und ich begreife noch immer nicht, wie Ihr Euch auf einen Streit vor Zeugen einlassen konntet!"

"All dies wäre nicht nötig gewesen, wenn Ihr Euch nicht in den Kopf gesetzt hättet, diese unmögliche Kreatur von geradezu widerlich niedriger Abstammung zu heiraten," sagte die Herzogin erzürnt. Auch sie war durch die Einsicht, daß er recht hatte, nicht zu besänftigen. Und das Ansinnen, daß sie, Laura Asturini, um das Mitgefühl einer aus Noya Terea stammenden Kantorstochter betteln solle, war ja wirklich eine ungeheuerliche Zumutung.

Raffael de Roccaferrata schwieg eine Weile. Dann sagte er sehr langsam und trocken: "Solltet Ihr eine derartige Bemerkung je wiederholen — sei es mir oder einem Dritten gegenüber — dann werde ich dafür sorgen, daß Ihr es bereut. Habt Ihr mich verstanden?" Und da die Herzogin außerstande war, sofort zu antworten, wiederholte er, noch drohender als zuvor: "Habt Ihr mich verstanden?"

"Ja, ja, es ist ja gut, ich habe Euch verstanden!" Für einen Moment war die Herzogin wirklich eingeschüchtert, umso mehr, als es das erste Mal war, daß sie ihren Bruder so erlebte; aber sie verbarg ihre Bestürzung gekonnt hinter einem verständnislosen Kopfschütteln und fragte nach einer Besinnungspause in gelassenem Ton: "Und was schlagt Ihr nun vor?"

"Ihr werdet nicht umhin können, Eure Kleidervorschriften zu ändern," stellte Don Raffael erbarmungslos fest.

Laura Asturini sprang von ihrem Sitz auf. "Das ist unmöglich!"

Da er ein höflicher Mensch war, erhob Don Raffael sich ebenfalls, machte dann jedoch eine Handbewegung, die seine völlige Gleichgültigkeit unmißverständlich illustrierte, und sagte ungerührt: "Ich sehe nicht ein, was Euch daran hindern sollte, eine Vorschrift, die Ihr selbst erlassen habt, durch eine andere zu ersetzen."

"Es ist unmöglich!" beteuerte die Herzogin, "nach nur vier Jahren! Eine so kurzlebige Mode hat es bei Hof noch nie gegeben, und Ihr wißt so gut wie ich, daß solche Vorschriften immer für die Dauer der gesamten Amtsausübung gelten! Überdies kann ich nichts dadurch gewinnen. Wie Ihr vorhin selbst erklärt habt, lassen sich diese Dinge nicht über Nacht neu regeln. Selbst wenn ich wollte, könnte ich nichts Derartiges mehr in die Wege leiten, bevor Eure Frau dem König vorgestellt wird; außerdem würde der bloße Versuch, es zu tun, das Ende meiner Autorität bedeuten, nachdem der Streit erst bekannt geworden ist — und das ist ja wohl inzwischen längst geschehen! Meiner Ansicht nach gibt es für diese Sache nur eine Lösung: Ihr — oder besser Don Francesco — müßt ein Machtwort sprechen."


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Roman von Pia Frauss
4. Die Hochzeit M