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TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

4    Die Hochzeit


 
 
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Ein Exemplar des Ehevertrags zwischen Raffael de Roccaferrata und Catterina Athenaïs Benocchio wurde, wie das bei allen rechtswirksamen Dokumenten geschah, welche Mitglieder der königlichen Familie betrafen, im Staatsarchiv hinterlegt. Es überdauerte dort die Zeiten und geriet um das Jahr 1690 in die Hände eines Rechtswissenschaftlers, der das Schriftstück unter der Bezeichnung "der sittenwidrigste Vertrag des 16. Jahrhunderts" berühmt machte und als überwältigendes Zeugnis für den moralischen Verfall der gesamten Epoche bewertete.

Hier befand der betreffende Rechtskundler sich freilich in einem Irrtum, der auf seine Unkenntnis anderer Heiratsverträge des gleichen Zeitalters zurückging. Don Raffaels Vorstellungen von der Ehe, die er mit Catterina Athenaïs führen wollte, waren im Jahr seiner Hochzeit nicht weniger ausgefallen als am Ende des folgenden Jahrhunderts und hätten seine Zeitgenossen ebenso schockiert wie die Nachwelt — wenn der Inhalt des Ehevertrags bekannt geworden wäre. Das Bestreben, die ungewöhnlichen Klauseln geheimzuhalten, war denn auch der wichtigste Grund dafür, daß die Hochzeit in Valanta stattfand, der einzigen Stadt des Königreichs, wo Ehekontrakte vor der Unterzeichnung nicht öffentlich verlesen werden mußten.

Da sich aus der Mitgift ihrer Töchter unvermeidlich folgenreiche Rückschlüsse auf den aktuellen Vermögensstand ergaben — war der Betrag zu hoch, wurden die liebenden Väter bei der nächsten Steuerforderung unbarmherzig zur Kasse gebeten, war er zu niedrig, stand plötzlich ihre Bonität in Frage — legten die Kaufleute der Stadt von jeher großen Wert darauf, Eheverträge als Privatsache zu behandeln. So war es nach und nach mit obrigkeitlicher Duldung Brauch geworden, diese Dokumente entweder privat zu unterzeichnen oder sie bei einem öffentlichen Akt den betroffenen Parteien zur stummen Durchsicht vorzulegen; denn in Valanta setzte die Obrigkeit sich mehrheitlich aus Kaufleuten zusammen. Während in der Vergangenheit aus der Festsetzung falscher Mitgiftbeträge langwierige Familienstreitigkeiten entstanden waren, brachte die neue Regelung nur einen relativ geringfügigen Nachteil mit sich: zahlreiche junge Frauen, die nicht lesen konnten, wurden seither in die Ehe gegeben, ohne die Vereinbarungen des Ehekontrakts zu kennen, den Väter, Rechtsbeistände und zukünftige Ehemänner im stillen Kämmerlein aushandelten; in der Regel machte sich nämlich niemand die Mühe, die Braut mündlich darüber aufzuklären.

Auch Catterina ahnte am Morgen ihres Hochzeitstages noch nichts von dem anstößigen Inhalt des Dokuments, das den Rahmen für ihr künftiges Leben bilden sollte. Sie unterschrieb es, ohne es zu kennen. Für diesem Mißstand war sie freilich selbst verantwortlich; denn wenige Tage vor der Hochzeit hatte Raffael de Roccaferrata zwei Notare mit einer Abschrift des Vertrags in die Casa della Torre geschickt. In einem beigefügten Brief bat er Catterina, den Entwurf durchzulesen und eventuelle Änderungswünsche anzumelden; die Notare hätten Anweisung, ihr alles zu erklären, was ihr unverständlich erscheine, und ihre Vorschläge mit ihr zu besprechen.

Catterina konnte sich kaum überwinden, das Schriftstück zu berühren, und weigerte sich trotzig, es zu lesen: es sei ja wohl nicht üblich, daß Sklaven Einfluß auf den Inhalt der Verträge nähmen, die ihren Kauf und Verkauf betrafen. Sie hätte sich damit den Zorn der Herzogin della Torre zugezogen, wenn es möglich gewesen wäre, diese Dame noch mehr zu erzürnen, als sie es bereits seit Tagen war. Erst nachdem die beiden Notare und die empörte Herzogin geraume Zeit auf sie eingeredet hatten, gab Catterina zum Schein nach. Sie setzte sich mit dem Entwurf an einen Tisch und blätterte eine Weile darin herum. Das einzige, was sie dabei erkannte, war die Tatsache, daß der Vertrag zahlreiche Auflistungen der unterschiedlichsten Gegenstände enthielt: Häuser, Liegenschaften, Schmuck, Dienerschaft, Garderobe. Alles andere, was ihr Blick beim Überfliegen der Seiten kurz festhielt, kam ihr tatsächlich im höchsten Grade unverständlich vor; aber sie hütete sich, eine Frage an die Notare zu richten. Und nach einer Zeitspanne, die ihr angemessen schien, gab sie das Dokument zurück mit der Bemerkung, sie habe keine Änderungswünsche.

Catterinas Angst vor dieser Heirat, durch den Besuch des Fürsten kurzzeitig etwas verringert, nahm in der letzten Woche vor der Hochzeit kontinuierlich zu und wurde zuletzt zur Panik. Je länger die Unterredung mit Don Francesco zurücklag, umso mehr schwand das Vertrauen, das er ihr eingeflößt hatte, und alle seine Äußerungen erschienen ihr schließlich doppeldeutig. Sie hegte immer stärker den Verdacht, daß er sich im Grunde nur über sie lustig gemacht hatte. Erklärbar wurde Catterinas Angst durch den Umstand, daß die Lage, in der sie sich befand, sie allzu deutlich an jenes Mißgeschick erinnerte, dessen Opfer sie acht Jahre zuvor geworden war. Wieder einmal wurde über ihren Kopf hinweg ihr weiteres Leben entschieden, wieder einmal fragte niemand nach ihren Gefühlen, wieder einmal sollte sie einem Menschen ausgeliefert werden, den sie nicht kannte! Die Erfahrungen der Vergangenheit ließen sich unter solchen Umständen mit beängstigender Leichtigkeit zur Grundlage dunkelster Zukunftsvisionen machen. Sie war in Balthasar Benocchios Haus sehr unglücklich gewesen; aber zumindest hatte sie sich in diesem Unglück eingerichtet und wußte, was zu tun war, um es so gering wie möglich zu halten. Als phantasievoller Mensch vermochte sie ein Unglück, das sie kannte, wesentlich gelassener zu ertragen als die Aussicht auf eine ungewisse Zukunft, die obendrein mit ungünstigen Vorzeichen belastet war. Hinzu kam, daß von einem Ehemann noch weit größere Schrecknisse zu erwarten waren als von einem Vater. Heiraten bedeutete, daß die körperliche Gewalt, der sie bislang nur tagsüber unterworfen gewesen war, sie von nun an bis in ihr Bett verfolgen konnte, wobei sie zudem Formen annehmen würde, die alles vorher Dagewesene an Widerwärtigkeit übertrafen.

Die meisten Mütter des Landes, vor allem, wenn sie den bürgerlichen und gehobenen Gesellschaftskreisen angehörten, sorgten dafür, daß ihre Töchter schon frühzeitig über die körperlichen Vorgänge zwischen Mann und Frau aufgeklärt wurden. Daß Catterina von dergleichen Dingen nichts wußte, als sie im Alter von immerhin fast dreizehn Jahren in ihr Elternhaus zurückkam, hatte ihre Mutter und ihre Schwestern deshalb mit großer Verwunderung erfüllt. Denn auch Catterinas leibliche Mutter war aus Schaden klug geworden und hatte sich den Brauch zu eigen gemacht, von dem allgemein behauptet wurde, daß er ein unfehlbares Mittel sei, junge Mädchen auf dem Pfad der Tugend zu halten: da die Enthüllungen stets in leidendem Ton vorgetragen wurden und unweigerlich mit dem Hinweis verbunden waren, diese Dinge seien äußerst unangenehm, und man habe als Frau eben keine andere Wahl, als sich zu fügen und alles geduldig zu ertragen, flößten sie den meisten Mädchen soviel Angst ein, daß voreheliche Liebesbeziehungen eine seltene und fast gänzlich auf das sogenannte niedere Volk beschränkte Erscheinung darstellten. Dem Wunsch zu heiraten tat das Abschreckmittel obendrein kaum Abbruch; für eine Bürgerstochter war Heirat nun einmal die einzige achtbare Karriere, und welches Mädchen wollte nicht lieber Herrin eines eigenen Haushalts sein als Dienstmagd in dem der Eltern?


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
4. Die Hochzeit/A