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KAPITEL SCHLUSS |
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21 Täter |
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"Nein," versetzte Don Raffael sanft, innerlich seufzend über die Ungeschicklichkeit, die er da begangen hatte — anscheinend war er heute wirklich nicht ganz bei sich! —, "nein, Madonna, das habe ich nicht. Ich wollte Euch kränken, und das tut mir leid." Er beugte sich über Catterina, faßte sie bei den Schultern, zog sie aus dem Kissen hoch und nahm sie in die Arme; und erst als er den Druck ihrer Brüste auf seiner Haut fühlte, merkte er, in welche Gefahr er sich begeben hatte. "Verzeiht mir," wiederholte er entsetzt. "Wenn es Euch Freude macht," antwortete Catterina fügsam, mit einem hilflosen kleinen Lachen, das fast unwiderstehlich zu weiteren Zärtlichkeiten einlud. "Die Mitteilung, von der ich sprach, Madonna," erläuterte Don Raffael in dem verzweifelten Bemühen, Zuflucht bei einem ernsthaften Thema zu finden, "bezog sich teilweise auf den Umstand, daß Ihr Euch Don Philipp zum Feind gemacht habt. Ich fürchte, Ihr steht für alle Zukunft auf der Liste derjenigen Leute, an denen er unbedingt Rache nehmen will." "Ach!" sagte Catterina. "Hat Euch da jemand geraten, Ihr solltet gut auf mich aufpassen? Aber das tut Ihr ja ohnehin schon mehr als genug." "So einfach ist das nicht, Madonna. Die Gefahr, vor der ich Euch jetzt zu schützen versuche, wird über kurz oder lang enden. Don Philipps Feindschaft dagegen — die wird dauerhafter sein als eine Ehe! Es gibt drei Möglichkeiten: entweder er stirbt, oder Ihr sterbt, oder er findet eine Gelegenheit, sich zu rächen! Und das heißt, daß Eure Freiheit womöglich für alle Zukunft sehr eingeschränkt bleiben wird; und nicht nur die Eure. Denn er könnte auch diesmal auf den Gedanken kommen, sich an einer dritten Person zu rächen — an einer Person, deren ganzes Verbrechen darin besteht, daß Ihr sie ins Herz geschlossen habt." Zu Don Raffaels Erleichterung fand Catterina diese Nachricht so bestürzend, daß sie sich aus seinen Armen löste und eine Weile finster brütend mit angezogenen Knieen neben ihm saß. "Da habe ich ja etwas Schönes angerichtet," sagte sie schließlich. "Ich kann es Euch nicht verdenken, daß Ihr mir Vorwürfe macht! Auf dem ganzen Weg von Atthagra hierher habe ich mich geschämt für das, was ich da auf dem Hofball getan habe; aber daß es so schlimm ist, hätte ich mir wirklich nicht träumen lassen! Enthielt diese Mitteilung denn einen Hinweis darauf, daß eine bestimmte Person bereits in Gefahr ist?" "Sorgt Euch nicht; im Moment scheint Don Philipp noch ausschließlich an Euch selbst zu denken. Aber das könnte sich in absehbarer Zeit ändern, dann nämlich, wenn er einsehen muß, daß Ihr unerreichbar seid." Catterina starrte noch eine Weile auf den Punkt jenseits des Bettendes, den sie schon seit geraumer Zeit nicht aus den Augen ließ; dann wandte sie sich plötzlich zu Don Raffael und fragte: "Was ist zu tun?" "Um ehrlich zu sein — ich weiß es nicht," sagte Don Raffael und erinnerte sich, daß er diesen Satz im Lauf des Tages schon einmal geäußert hatte. "Aber heute nacht müssen wir die Lösung ja auch nicht finden! Das ist — ich erwähnte es schon — eine langwierige Sache, und wir haben noch genug Zeit, uns etwas auszudenken." "Es tut mir leid, daß ich diesen Fehler gemacht habe," beharrte Catterina. "Ihr hattet mich doch gewarnt! Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist! Don Philipp ist mir nur so fürchterlich zuwider, und als er da vor mir stand —" "Das sind sehr berechtigte und verständliche Gefühle, Madonna," sagte Don Raffael beschwichtigend. "Natürlich ist es bedauerlich, daß Ihr sie nicht besser beherrschen konntet; aber es ist nun einmal geschehen! Immerhin war Don Philipp in seiner Ratlosigkeit ein unvergeßlicher Anblick! Und jetzt habe ich gleich doppelt Grund, mich zu entschuldigen. Ich hätte so kurz vor dem Einschlafen nicht von so schlafraubenden Dingen sprechen dürfen; versprecht mir, daß Ihr jetzt nicht mehr daran denkt, ja? Verzeiht, daß ich vorhin so abweisend war. Ich hatte einen sehr unerfreulichen Tag. Morgen bin ich hoffentlich besser gelaunt." Catterina dachte, daß eine grobe Wahrheit allemal besser war als eine höfliche Lüge; aber sie sprach es nicht aus. Sie nickte nur, nahm den Gutenachtkuß mit einem freudlosen Lächeln hin und versuchte danach wirklich, nicht mehr an Don Philipp und die Folgen ihres Fehlers zu denken. Das Nachdenken half ja doch nichts... Über dieser Erkenntnis schlief sie prompt ein. Das war ein Segen, auf den Don Raffael noch lange warten mußte. Was ihn diesmal wachhielt, war freilich nicht ein Liebesverlangen, das besser unerfüllt blieb. Denn er hatte sich kaum von Catterina abgewandt und seinem Glück gedankt, weil es den Kelch an ihm vorübergehen hatte lassen, den er so leichtfertig an die Lippen gehoben hatte, — als ihn auch schon aufs neue das verflixte badate alla toppa* zu quälen begann. Warum zum Teufel konnte dieser Agostino sich nicht verständlich ausdrücken? Badate alla toppa, badate alla toppa... Wie ein tausendmal wiederholter Refrain hämmerte der Satz in Don Raffaels Gedanken; am Ende hörte er beinahe schon die Melodie, nach der das gesungen werden mußte. Dabei konnte es ihm doch eigentlich gleichgültig sein, warum Agostino di Castelcareggio diesen Brief geschrieben und was er damit gemeint hatte. Das änderte doch nichts an der Sachlage! Und die war ausweglos genug; war es da sinnvoll, sich den Kopf über Nebensächliches zu zerbrechen? Nebensächlich? Ein Mensch, der es in seinem siebzehnten Lebensjahr fertigbrachte, Don Philipp so weit zu unterjochen, daß dieser vor einer verschlossenen Tür jammerte, die er ohne weiteres hätte eintreten können! Ein solcher Mensch mußte einfach ernstgenommen werden... Auch als Don Raffael endlich einschlief, ließ das Rätsel ihn nicht los, und er träumte von Schlüssellöchern, aus denen Stichflammen schlugen, von Bären, die "badate alla toppa" brummend auf ihn losgingen, von Agostino di Castelcareggio, der über eine Turmzinne vor seine Füße sprang, sich mit einem strahlenden Lächeln vor ihm aufbaute und behauptete: "Ein Text, königliche Hoheit!" — und abermals von Agostino di Castelcareggio, der am Cembalo saß und zur Melodie von Catterinas Lied sang: "Per l'ultima volta, crudele, crudele, per l'ultima volta mostrate pietà!**" Am Morgen, als Don Raffael geweckt wurde, hatte diese Bitte, ein letztes Mal Mitleid zu zeigen, die andere Aufforderung verdrängt, bei deren Rhythmus er eingeschlafen war, und während des Ankleidens fiel ihm plötzlich ein, daß er womöglich die Übersetzung geträumt hatte, nach der er suchte. Wie, wenn die Botschaft gar nicht als Warnung gemeint war? Vielleicht war sie wirklich eine Bitte um Mitleid; vielleicht sogar — ein Ratschlag! Unmittelbar nach dem Frühstück, noch bevor er die erste Akte öffnete, ließ Don Raffael ein Schachbrett in sein Arbeitszimmer bringen. Er baute die Figuren in der Stellung auf, in der Agostino di Castelcareggio sie gezeichnet hatte, und vertat eine geschlagene Stunde mit Versuchen, die Partie zuende zu spielen. Keiner dieser Anläufe erwies sich als sonderlich erhellend. Don Francesco wäre vielleicht in der Lage gewesen, das Problem zu meistern. Aber Don Francesco zu fragen bedeutete, daß er Gegenfragen stellen würde, und Don Raffael hatte keine Lust, sich auf eine solche Prüfung vorzubereiten. Er entdeckte eine merkwürdige Eifersucht in sich. Nein, er würde das Geheimnis nicht profanieren, indem er auch nur einen Bruchteil davon preisgab — und Don Francesco war der letzte, mit dem er etwas teilen wollte, das zu schön war, um überhaupt mit irgendjemand geteilt zu werden. Außerdem, was half es, ein möglichst zügiges Spielende herauszufinden, wenn man dann nicht wußte, wie die Nutzanwendung war, und ob der Autor gerade diesen Spielverlauf für empfehlenswert hielt? So kämpfte Don Raffael ratlos, aber verbissen mit der vertrackten Aufgabe, scheiterte ein ums andere Mal und kam schließlich nur zu einem einzigen Ergebnis: wie immer das Rätsel gelöst werden mußte — wenn es denn eine Lösung gab! —: sein Urheber hatte offenkundig vorausgesetzt, daß das Damenopfer unvermeidlich war. * zu deutsch: achtet auf das Schlüsselloch zurück ** zu deutsch: "Zum letzten Mal, Grausame(r), zum letzten Mal zeigt Mitleid!" zurück |
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TAURIS Roman von Pia Frauss 21. Täter und Opfer/S |