Link: Hinweise
Link: Inhalt
Link: Zum Verständnis
Link: Namenliste
Bild: Stammbaum
Link: Kapitelanfänge -- Übersicht
Link: Kapitelschlüsse -- Übersicht
Zum Seitenende Zum Seitenende KAPITEL
ANFANG
TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

21    Täter
                  und Opfer


 
 
Link: Die Autorin
Link: Kontakt
Link: Home


Don Raffael verabscheute Schußwaffen jeder Art und jeden Kalibers: von Feiglingen erdacht, von Feiglingen benutzt, standen sie in seiner Wertschätzung nur deshalb ein bißchen höher als Gifte, weil ihre Anwendung der Heimtücke engere Grenzen setzte. Ein Mord, der mit ihrer Hilfe begangen wurde, war auf den ersten Blick als solcher erkennbar und wurde durch mancherlei Begleitumstände erschwert. Armbrust oder Pfeil und Bogen erlaubten zwar lautlose Angriffe aus dem Hinterhalt, verlangten aber großes Geschick vom Schützen und ließen sich nicht unauffällig transportieren. Feuerwaffen dagegen verursachten bei der Zündung ein weithin vernehmliches Getöse; sie waren obendrein sogar in geschickten Händen weder zuverlässig noch treffsicher.

Aber selbst die ritterlichsten Ideale sind nichts weiter als Kieselsteine im Strom der Zeit, an denen sich keiner festhalten kann, der mitgerissen wird. So hatte Don Raffael auch nie gegen eine einzige Kanone protestiert, die Don Francesco anschaffte und aufstellen ließ, und hatte zudem eine Menge kleinerer Feuerwaffen dadurch aus dem Verkehr gezogen, daß er sie sammelte. Und am Montagnachmittag, als er zu seinem Treffen mit dem Stadthauptmann ins Gerichtsarchiv aufbrach, schlug er alle unzeitgemäßen Bedenken endgültig in den Wind. Denn die Gefahr, in die er sich begab, ließ sich im vorhinein nicht abschätzen, und er hatte keineswegs die Absicht, darin umzukommen. Folglich nahm er zwei kleine Pistolen mit auf diesen Gang und bedauerte dabei nur, daß die besten Stücke seiner Sammlung sich in Valanta und Orsino befanden — darunter auch all jene neuartigen Schnapphahnpistolen, deren Zündmechanismus sicherer war als die Radschlösser, auf die er sich hier verlassen mußte.

Das Gerichtsgebäude von Corvalla befand sich an der rechten Längsseite des Domplatzes, Wand an Wand mit dem Hauptmannspalazzo. Zwei Türen in der Trennmauer, die eine im ersten, die andere im zweiten Stockwerk, erlaubten dem Stadthauptmann, es jederzeit ungesehen von seiner Wohnung aus zu betreten, sogar mit zahlreicher Begleitung; und da Don Raffael das wußte, hatte er während der vergangenen Monate stets darauf geachtet, bei seinen Besuchen im Gericht von Corvalla niemals allein und stets in Sichtweite der Eskorte zu bleiben, die er dabei für unverzichtbar hielt. Das kleine Lesezimmer, wo er jetzt mit Gianfrancesco da Mertola verabredet war, lag besonders exponiert, im zweiten Stock, abseits von jeglichem Besucherverkehr, unmittelbar neben der Tür, die zum Hauptmannspalazzo führte. Sich mit einem Aktenstapel dort niederzulassen, weit entfernt von der Eskorte, und die Sekretäre wegzuschicken, erforderte eine beträchtliche Portion Mut; da war es nur natürlich, daß Don Raffael, nachdem er allein geblieben war, als erstes seine Pistolen überprüfte und sie entsichert vor sich auf den Tisch legte.

Doch Gianfrancesco da Mertola, der das Lesezimmer pünktlich zur vereinbarten Zeit betrat, kam tatsächlich unbegleitet und unbewaffnet. Er schloß eilig die Tür, machte eine knappe Verbeugung und blieb dann stumm stehen, den Blick mit müder Verachtung auf die Pistolen gerichtet.

"Ihr wolltet mit mir sprechen," sagte Don Raffael endlich, "ich höre."

"Glaubt Ihr wirklich, daß Euch diese niedlichen kleinen Dinger viel helfen würden, wenn ich Euch hier in einen Hinterhalt gelockt hätte?"

Die Pistolen waren in der Tat kaum länger als Don Raffaels Hände und sahen eher wie Schmuckstücke denn wie Waffen aus. "Nun," gab Don Raffael zu, "ob und was ich damit überhaupt treffen würde, weiß ich wirklich nicht. Ich habe sie noch nie abgefeuert. Aber ich bin sicher, sie machen in einem Notfall genug Lärm, um die Wache zu alarmieren."

"Ihr habt eine Wache...? Dabei hatte ich Euch doch gebeten —"

"Es ließ sich nicht vermeiden. Hat man Euch nicht erzählt, daß ich ein feierliches Versprechen ablegen mußte, nicht mehr ohne Eskorte auszugehen? Aber keine Sorge. Vorläufig stehen die Soldaten vorne an der Treppe und haben nur den Auftrag, zu verhindern, daß jemand von dort aus den Korridor betritt, der zu diesem Zimmer führt. Wenn Ihr jetzt noch die Güte hättet, den Türriegel vorzuschieben? — So! das dürfte Euch — und mich — fürs erste vor unliebsamen Überraschungen bewahren. Und jetzt setzt Euch und erzählt mir Eure Geschichte."

"Meine Geschichte, soweit sie für Euch von Interesse ist, habe ich Euch gestern abend schon erzählt. Ich habe nur eine Bitte hinzuzufügen."

"Ja —?"

"Bringt Eure Frau unverzüglich fort aus Corvalla — nach Orsino, in die Festung von Horena, gleichgültig wohin, solange es ein Ort ist, wo ich sie nicht erreichen kann; ich flehe Euch an."

"Warum sollte ich das tun, und wem nützt das?"

"Letzten Endes nützt es wohl niemand außer mir. Aber wenn Euer Plan, den König umzubringen, so überaus dringlich ist, dann laßt Euch warnen: nur der Mord an Eurer Frau könnte mir die Gelegenheit verschaffen, ihn auszuführen."

"Langsam, langsam," sagte Don Raffael, "ich kann nicht behaupten, daß ich auch nur ein Wort von dem verstehe, was Ihr da redet, und ich schwöre, daß ich weder die Absicht noch überhaupt den Wunsch habe, Don Felizio ermorden zu lassen."

"Nein —? Dann sagt mir doch bitte, was erhofft der Fürst sich von Don Felizios Tod? Als ein Mensch, der selbst bald sterben wird, kann Euer Bruder eine solche Sache nur Euch zuliebe anzetteln! Was immer daraus entsteht, erst sein Nachfolger wird davon profitieren! In allen anderen Fällen begreife ich die Gründe; aber in diesem Fall..."

"Wenn Don Francesco wirklich mit einem solchen Ansinnen an Euch herangetreten wäre," versetzte Don Raffael, "dann wäre das in der Tat unbegreiflich. Es ist so unvereinbar mit seinem bisherigen Handeln, daß ich Euch kein Wort glaube."

"Ansinnen!" wiederholte der Stadthauptmann verachtungsvoll. "Ansinnen! Es war ein Befehl, nicht mehr und nicht weniger, und er wurde durch eine Drohung verstärkt, die mir jeglichen Einwand unmöglich machte."

"Noch einmal — was Ihr da behauptet, ist zutiefst unglaubwürdig! Wenn Don Francesco wirklich vorhätte, den König ermorden zu lassen, warum sollte er — obwohl er eben aus Atthagra kommt, wo es genug Leute gibt, die in seinem Sold stehen! — gerade hier in Corvalla einen solchen Auftrag erteilen, und ausgerechnet Euch, der nie etwas mit Orsino zu schaffen gehabt hat, und der als vom Hof Verbannter gar nicht in der Lage ist, sich dem König überhaupt zu nähern! Die Anschuldigungen, die Ihr hier vorbringt, können Euch Kopf und Kragen kosten!"


Zurück
zum 20. Kapitel
Zum 1.Mittelstück
Zum 2.Mittelstück

Zum Seitenanfang
Weiter
zum Kapitelende


TAURIS
Roman von Pia Frauss
21. Täter und Opfer/A