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TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

14    Retiarius vincit*


 
 
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Es war — ach! — ein Versprechen, das Don Raffael nicht hielt. Trotzdem besaß Catterina in den folgenden Tagen nicht das Herz, ihm den Wortbruch zu verübeln. Sein einziger Fehler — wenn er überhaupt einen begangen hatte — bestand wohl lediglich darin, daß er die unvermeidliche Abendmahlzeit mit Don Francesco zwischen sein Versprechen und dessen Erfüllung schob. Aber obgleich er nichts weniger als unschuldig war an dem dramatischen Ereignis, das bei diesem Anlaß vorfiel, hatte er es doch unzweifelhaft nicht aus eigenem Antrieb ausgelöst; und er hatte nie von sich behauptet, ein Hellseher zu sein. Wie also hätte man ihm einen Vorwurf daraus machen sollen, daß er nicht voraussah, welches Ende dieses Abendessen nehmen würde?

Dabei schien es zu Beginn nur eine Fortsetzung des vorhergegangenen zu sein. Mit Ausnahme von Catterinas Hofdamen, die den Launen des Fürsten geopfert wurden und im Vorraum zurückblieben, hatte sich dasselbe Personal versammelt, und der Philosoph bedurfte keiner großen Ermunterung, um seine Essensgeräusche erneut mit seiner Rhetorik zu vermischen. Gewiß, das Tischgespräch wurde diesmal in der Landessprache geführt; da es sich jedoch mit demselben Gegenstand befaßte wie am Vorabend, zog Catterina wenig Nutzen aus der Korrektur. Sie vermochte dem Disput auch jetzt kaum zu folgen und zitterte eine Zeitlang bei dem Gedanken, daß der Fürst seine Drohung vom Vortag wahrmachen und sie nach ihrer Meinung befragen könne.

Aber damit hatte es anscheinend keine Gefahr. An diesem Abend — das war wohl die einzige bedeutsame Veränderung gegenüber dem Vortag — beteiligte sich auch Don Raffael am Tischgespräch, während der Fürst sich merklich daraus zurückzog, sobald er es in Gang gebracht hatte. Als sich schließlich zwischen Don Raffael und dem Philosophen ein zunehmend heftiger Streit entzündete, verfiel Don Francesco sogar nach und nach gänzlich in Schweigen. Catterina wunderte sich zuerst über diese unerwartete Neuverteilung der Rollen und bald darauf noch mehr über die Standpunkte, welche von den streitenden Parteien verfochten wurden. Mit dem Begriff "Republik" vermochte sie nur sehr ungenaue Vorstellungen zu verbinden. Eine Republik, das waren Zustände, wie sie in Noya Terea herrschten, unmoralische Zustände also; und Catterina fand es höchst rätselhaft, daß der Sior da Chiaparvo, den sie als unermüdlichen Tugendwächter und Vorkämpfer der Moral kannte, offenbar für die Schaffung solcher Zustände im ganzen Königreich eintrat, während Don Raffael, der ihres Wissens ein begeisterter Freund Noya Tereas war, mit Vehemenz dagegen stritt.

Und dann, nachdem die Diskussion schon eine Weile als hitziges Zwiegespräch zwischen Don Raffael und dem Sior da Chiaparvo fortgedauert hatte, kam die Katastrophe zum Ausbruch, ganz behutsam und sachte, so daß Catterina ihr Eintreten anfangs gar nicht bemerkte. Sie stahl sich auf leisen Sohlen herein, während einer der kurzen Gesprächspausen, in denen die Kontrahenten ihre Schlachtordnung überdachten und die Reihen ihrer Argumente neu ordneten. Diese seltenen Pausen dauerten stets gerade zwei oder drei Atemzüge lang, und ein solches Intervall, das auf einen Gesprächsbeitrag Don Raffaels gefolgt war, benützte Don Francesco, um, an die entschiedene Stellungnahme seines Bruders anknüpfend, zu äußern: "Ein so unerschütterliches Eintreten für die Monarchie wie das Eure, verehrter Bruder, scheint mir höchst erstaunlich bei einem Menschen, der sich nicht scheut, dem König ins Gesicht zu sagen, daß er ihn für ein altes Waschweib hält, und der auf geradezu schamlose Weise mit den Kaufleuten gemeinsame Sache gegen seinen Bruder macht!"

Der Philosoph, der schon Luft geholt hatte, um eine langwierige Erwiderung zu beginnen, erstarrte mit offenem Mund, und Don Raffael legte plötzlich das Messer beiseite, mit dem er zuvor seine Gesten unterstrichen hatte. In einem Ton, dessen Nüchternheit sich bestürzend von dem des Streitgesprächs abhob, fragte er: "Wie meint Ihr das?"

"Ihr wißt genau, wie ich das meine. Ich hatte heute nachmittag eine Unterredung mit Don Felizio und habe ihn selten so aufgebracht gesehen."

"Aufgebracht, gewiß!" verteidigte sich Don Raffael, "das erklärt, warum er so arg übertrieben hat! Sobald er sich beruhigt, wird er die Sache weit weniger schlimm finden. Ihr müßtet mich aber doch gut genug kennen, um zu wissen, daß ich einen solchen Ausspruch niemals getan haben kann!"

Der Fürst musterte seinen Bruder mit einem halb höhnischen, halb drohenden Blick. "Es fragt sich," sagte er zuletzt, sehr leise und mit schleppender Stimme, "ob ich Euch wirklich so gut kenne, wie Ihr glaubt. Ich jedenfalls habe heute schon den ganzen Tag mit diesbezüglichen Zweifeln gekämpft, und nicht erst seit dem Gespräch mit Don Felizio! Genaugenommen stelle ich mir diese Frage seit heute morgen — seit ich die Nachricht bekommen habe, daß ein gewisser Valentin Rascari vor zwei Tagen die Kupferminen von Piavara auf drei Jahre gepachtet hat, zu einem Jahreszins, der nur wenig unter dem gegenwärtigen Verkaufspreis liegt, und zu nie vorher dagewesenen Bedingungen, wie etwa, daß die Minen ohne seine Zustimmung nicht verkauft werden dürfen, daß ein eventueller Käufer den Pachtvertrag nicht kündigen kann, und so weiter...! Was habt Ihr Euch dabei gedacht? und wie wollt Ihr es entschuldigen, daß Ihr mir auf eine so hinterlistige Weise in den Rücken fallt?"

"Wer sagt Euch, daß ich mit dieser Sache zu tun habe?" fragte Don Raffael. Seine Stimme zitterte ein wenig dabei, und er hielt die Augen gesenkt. Er legte offenkundig keinen Wert darauf, die Anschuldigung glaubhaft abzustreiten, und nicht einmal Catterina fand seinen Protest überzeugend.

Der Fürst gab ein gespenstisch hohes, keuchendes Lachen von sich, das Catterina durch Mark und Bein ging, und stieß mit plötzlich ausbrechender Erregung hervor: "Das braucht mir auch wirklich niemand zu sagen! Kein Kaufmann und schon gar nicht der Fuchs Rascari würde ein solches Verlustgeschäft abschließen, und noch viel weniger würde er es wagen, mir so unverschämt den Weg zu verstellen, wenn er nicht sicher wäre, von Euch finanzielle und rechtliche Rückendeckung zu erhalten! Im übrigen seid Ihr schon immer ein Meister im Austüfteln ungewöhnlicher Verträge gewesen; und daß Ihr ein Gegner des Kupfermonopols seid, weiß ich von jeher, wenn ich auch nie verstanden habe, weshalb!"

Nach dieser für seine Verhältnisse langen Rede, die er seinem Bruder entgegengeschleudert hatte, ohne sich eine Pause gründlichen Atemholens zu gönnen, hielt der Fürst inne, weil er unbedingt nach Luft ringen mußte, und Don Raffael, unbekümmert darum, daß die Antwort einem Eingeständnis gleichkam, sagte gewichtig: "Dieses Kupfermonopol verstößt gegen die Privilegien Noya Tereas und wird Noya Terea gewaltig schaden. Soweit ich sehe, setzt es entweder einen Rechtsbruch oder eine Abänderung der Staatsverfassung voraus, und ich billige weder das eine noch das andere."

* Der lateinische Titel, zu deutsch "Der Netzwerfer siegt", bezieht sich auf eine Variante der römischen Gladiatorenkämpfe, bei der ein nur mit Netz, Dolch und Dreizack bewaffneter retiarius (< rete "Netz") ohne Helm und Schild gegen einen mit Helm, Schild und Schwert ausgerüsteten murmillo oder secutor antrat.


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
14. Retiarius vincit/A