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MITTE
TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

Zumutungen


(Auszug aus Kap. 2)


 
 
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Wenigstens in einem Punkt freilich behielt Balthasar Benocchio recht: zwei Tage später hatte er die Ehre, den Fürsten von Orsino unter seinem Dach zu empfangen. Das große Ereignis wurde der Familie bereits frühmorgens durch einen Sekretär angekündigt, der bis zum Eintreffen seines Herrn im Hause blieb, um darüber zu wachen, daß alle Vorbereitungen zu dessen Zufriedenheit getroffen wurden. Selbst die unterwürfigsten Familienmitglieder konnten sich dabei des Eindrucks nicht erwehren, daß dieser Besuch vorbereitet wurde wie eine Theateraufführung, und daß die neue Verwandtschaft nicht unbedingt eine angenehme war.

Als erstes wählte der Sekretär einen hofseitig gelegenen Raum im Erdgeschoß aus, wo die Begegnung zwischen Catterina und dem Fürsten stattfinden sollte. Sodann verlangte er, daß alles Mobiliar aus diesem Raum entfernt werden müsse. Da es sich um das ehemalige Kaufmannskontor handelte, wo immer noch die Geschäftsbücher und Korrespondenzen von mehr als sechzig Jahren in wuchtigen Schränken aufbewahrt wurden, empfand jedermann sein Ansinnen als böswillige Zumutung. Dennoch half keiner der vorgebrachten schüchternen Proteste; Bücher, Tische, Schränke, Truhen: alles mußte in die zum Teil unbenutzten Lagerhallen hinübergeschleppt werden.

Mit gerümpfter Nase beobachtete der Sekretär die Staubwolken, die sich bei diesem Vorgang erhoben; und sobald das Zimmer leergeräumt war, ordnete er an, daß es, Decke und Wände eingeschlossen, gründlich gereinigt werden müsse. Man fegte also zuerst den Kamin und wusch danach den gesamten Raum mehrmals aus — wobei man zum Entsetzen von Catterinas Mutter und Tante gezwungen war, ungeheuere Mengen kostspieligen Zitronensaftes zu verbrauchen; denn der Fürst, so wurde die Familie belehrt, vertrage den Essiggeruch nicht. Ebenso wie mit dem Zimmer verfuhr man mit dem Gang, der zur Haustür führte.

Als der Feldzug gegen den Staub siegreich beendet war, trug man — natürlich erst nach eingehender Säuberung an der frischen Luft — zwei Lehnsessel und ein Tischchen in das Zimmer und stellte sie anweisungsgemäß neben eines der beiden Fenster. Zuletzt wurde Feuer im Kamin gemacht. Das erregte nicht weniger Verwunderung als die ganze Säuberungsaktion; denn das Wetter war trotz des beginnenden Herbstes noch hochsommerlich warm. In das Feuer warf der Sekretär schließlich eine Handvoll seltsamer Körner aus einem mitgebrachten Leinensäckchen; sie verbrannten zischend und erfüllten den Raum mit einem strengen Geruch.

Damit war die der Familie Benocchio auferlegte Prüfung jedoch keineswegs beendet. Als nächstes wurde sie selbst kritisch gemustert. Sodann wurde Catterinas Eltern und Brüdern bedeutet, daß sie zum Empfang des Fürsten an der Haustür zu erscheinen hätten; daß sie zu diesem Zweck aber ihre Sonntagskleider anziehen sollten; daß jedes Familienmitglied sich vor dem Umziehen gründlich säubern müsse; ferner, auf welche Weise der Fürst zu grüßen sei. Die erforderlichen Knickse und Verbeugungen mußten unverzüglich vorgeführt, verbessert und geübt werden. Mehr Verhaltensmaßregeln brauche man nicht zu beachten, verkündete der Sekretär endlich, denn der Fürst werde natürlich nicht wünschen, mit einer anderen Person als der Donna Catterina ein Gespräch zu beginnen. Während dieses Gesprächs habe die Familie an der Haustüre zu warten, um sich beim Weggang des Fürsten wiederum in zeremonieller Weise von ihm zu verabschieden.

Nachdem er so die gesamte Familie vor den Kopf gestoßen hatte, wandte der Sekretär sich der "Herrin Catterina" zu und legte ihr dringend ans Herz, vor dem Eintreffen des Fürsten ein Bad zu nehmen. Catterina Athenaïs, die sein bisheriges Vorgehen mit einer gewissen boshaften Freude beobachtet hatte, wurde von diesem Ansinnen so überrascht, daß sie einwilligte, obwohl sie das Unangemessene des Vorschlags durchaus erkannte.

Erst als sie in dem großen Holzzuber saß und von den Mägden mit heißem Wasser begossen wurde, begann sie sich zu empören. Schließlich lag ihr letztes Bad nur fünf Tage zurück; niemand hielt es gerade in den regenarmen Sommermonaten für nötig, öfter als einmal alle zwei Wochen zu baden; und in jedem Fall war es der Gipfel der Unverfrorenheit, ihr derartige Anweisungen zu geben. Er behandelt uns weiß Gott, als ob wir eine Bande von Landstreichern wären, dachte sie erbittert; in einem adligen Haushalt hätte er niemals ähnlich unverschämt aufzutreten gewagt.

Kurz nach dem Bad kam es daher zu dem unvermeidlichen Zusammenstoß zwischen Catterina und dem Sekretär. Dieser hatte inzwischen ihr Zimmer und ihre Garderobe inspiziert und machte aus seinem Entsetzen kein Hehl. Eine Kammer unter dem Dach, ungeheizt und staubig! Neben den Schlafräumen der Dienerschaft, glücklicherweise nur der weiblichen! Wie könne man nur annehmen, so fragte er den Hausherrn entrüstet, daß dergleichen eine würdige Unterkunft sei für die Braut eines fürstlichen Erbprinzen? Balthasar Benocchio wandte matt ein, daß es der Wunsch seiner Tochter gewesen sei, diese Kammer zu beziehen, wo sie ungestört auf der Harfe üben konnte, erhielt aber lediglich ein kaltes "ganz gleichgültig! Ihr hättet einen solchen Zustand keinen Augenblick länger dulden dürfen, sobald Seine Hoheit sich erklärt hatte!" zur Antwort und gelobte schwitzend, Abhilfe zu schaffen.

Catterina war nicht so leicht zu bändigen. Sie saß im Ankleidezimmer ihrer Mutter; die Mutter, die Tante und die Zofe waren gemeinsam damit beschäftigt, ihre nassen Haare auszukämmen — ohnehin eine Prozedur, deren Opfer häufig schlecht gelaunt sind —; überdies trug sie nichts auf dem Leib außer einem leinenen Unterhemd: da trat plötzlich der Sekretär herein und eröffnete ihr bündig, er habe unter ihren Kleidern keines gefunden, das er als passend für die Begegnung mit dem Fürsten erachte. Er müsse ihr deshalb empfehlen, einige ortsansässige Schneider rufen zu lassen; gewiß würde einer davon etwas Geeigneteres bereithaben, das man nur ein wenig zu ändern brauche.

Catterina Athenaïs besaß sechs Kleider: je zwei einfache für Sommer- und Winterwerktage, ein besticktes für den sonntäglichen Kirchgang und ein spitzenbesetztes Taftkleid für Feste. Dies war für ein Mädchen ihres Standes eine durchaus angemessene Garderobe, mit der sie bislang stets zufrieden gewesen war. Der Vorschlag des Sekretärs hatte daher nur die Wirkung, sie zusätzlich zu reizen. Stirnrunzelnd blickte sie zu ihm empor und sagte mit beträchtlicher Schärfe: "Habt die Güte, mir zu erklären, warum meine Kleider Euch unpassend erscheinen."

Der Sekretär geriet ein wenig in Verlegenheit. Seine Aufgabe war offensichtlich delikater, als er gedacht hatte. "Es ist eine bürgerliche Kleidung, Donna, wenn ich so sagen darf," antwortete er zögernd, "und man sieht deutlich, daß die Ausgehkleider schon sehr oft getragen worden sind."

Catterina begriff. Er hielt ihre Ausgehkleider für schmutzig; sie waren ja nicht dafür gemacht, gewaschen zu werden. Und die Werktagskleider — nun, die wurden zwar gewaschen; aber das sah man ihnen auch an. Sie schüttelte empört den Kopf. "Und welchen Grund gäbe es für mich, keine bürgerliche Kleidung zu tragen?" versetzte sie, fest entschlossen, diesmal nicht nachzugeben. Das fehlte noch, daß sie sich vor der ganzen Stadt lächerlich machte, einer Laune des Fürsten von Orsino wegen! Sie kannte den Mechanismus gut genug, nach dem die Lästerzungen arbeiteten. Wenn sie sich jetzt in höchster Eile und im letzten Moment ein Kleid besorgte, würde sie, Hochzeit oder nicht, noch jahrelang knöcheltief im Spott ihrer Mitbürger waten. Nein, das konnte niemand von ihr verlangen.


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
2. Der fürstliche Segen M