Link: Hinweise
Link: Inhalt
Link: Zum Verständnis
Link: Namenliste
Bild: Stammbaum
Link: Kapitelanfänge -- Übersicht
Link: Kapitelschlüsse -- Übersicht
Zum Seitenende Zum Seitenende KAPITEL
ANFANG
TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

2    Der fürstliche
                        Segen


 
 
Link: Die Autorin
Link: Kontakt
Link: Home


In den Tagen, die dem Heiratsantrag Raffael de Roccaferratas folgten, ging Catterina Athenaïs herum wie ein Schatten. Der Zustand, in dem sie sich den ganzen Freitag über befunden hatte, setzte sich dem Anschein nach fort und verschlimmerte sich noch: sie aß fast nichts mehr, sie spielte nicht mehr Harfe, antwortete mechanisch, wenn man sie ansprach, und saß ansonsten die meiste Zeit in ihrem Zimmer am Fenster, wo sie mit blicklosen Augen in den Hof hinunterstarrte.

Freilich war ihr Zustand nur äußerlich der gleiche wie vor dem Ereignis. Was zuvor Ausdruck freudiger Hoffnung gewesen war, entsprang jetzt der tiefsten Niedergeschlagenheit. Hätte man sie — und glücklicherweise verfiel keiner ihrer Verwandten auf eine solche Frage — allen Ernstes gefragt, wie sie sich fühle, so hätte sie ohne sich lange zu besinnen geantwortet: "Ich möchte sterben." Über diesen Wunsch dachte sie allerdings nicht bewußt nach. Sie dachte überhaupt nicht mehr nach. Sie war wie gelähmt, und die einzige Idee, die sich mit einiger Klarheit in ihrem Kopf formte, war, daß sie Don Raffael nicht heiraten wollte. Dies war der Punkt, um den ihr ganzes schwerfällig gewordenes Denken kreiste.

Nachdem er ihr das Unfaßliche enthüllt hatte, war Catterina eine Weile stumm dagestanden und hatte ihren Vater entgeistert angestarrt. Das boshafte Wort von der Kuh, die man nicht kaufen muß, wenn man nur eben ein Glas Milch trinken will, war ihr zwar völlig unbekannt; aber sie vermochte ihr Staunen mühelos auf ähnliche und kaum pietätvollere Formulierungen desselben Sachverhalts zu gründen. Und selbst in einem solchen Fall schien es noch unbegreiflich, daß Don Raffael, der die freie Wahl zwischen allen Sahnetöpfen des Königreichs hatte, nun ausgerechnet auf einen Becher abgestandene Sauermilch aus dem Stall eines obskuren Pfarrkirchenkantors Lust haben sollte! Schließlich sagte sie langsam: "Er hat sich bestimmt einen Scherz mit uns erlaubt." Aber sie sagte es ohne rechte Überzeugung; denn wie ein Mann, der solch grausame Scherze trieb, sah Don Raffael trotz allem nicht aus.

Der Vater widersprach ihr denn auch mit Bestimmtheit. "Mein Kind, du kannst ganz sicher sein, daß er es ernst gemeint hat."

Catterina sah ein, daß ihr Einwand dumm gewesen war, und daß es keinen Zweck hatte, an den Tatsachen zu zweifeln. Sie schüttelte den Kopf und blickte ratlos erst ihre Mutter und dann wieder ihren Vater an. Beide Eltern strahlten vor Glück, und Catterina erkannte in beginnender Verzweiflung, wie sinnlos es war, diesen Selbstbetrug mit Argumenten bekämpfen zu wollen. "Ihr habt sofort zugesagt, nehme ich an?" erkundigte sie sich deshalb mit einer Stimme, über deren unbeteiligten Ausdruck sie sich selbst wunderte. Und tatsächlich merkte ihr Vater nicht, daß sie so fragte, weil der Gedanke an diese Heirat ihr fast den Magen umdrehte; er glaubte, sie habe Angst, er könne womöglich Bedenken hegen oder Bedingungen gestellt haben. "Sei ganz unbesorgt, mein Kind," sagte er sehr väterlich, "ich habe natürlich geantwortet, daß wir seinen Antrag als eine unschätzbare Ehre betrachten, und daß du glücklich sein würdest, ihn anzunehmen."

Catterina Athenaïs schloß die Augen und lächelte unfroh. "Und er hat es nicht für nötig gehalten, mich selber zu fragen?" sagte sie mit trockener Kehle. Nur einem so ungeübten Beobachter wie ihrem Vater konnte jetzt noch entgehen, daß es keineswegs Glücksgefühle waren, was ihre Stimme zittern ließ. Über ihren abenteuerlichen Vorschlag war er freilich befremdet; seit wann war es denn nötig, die Zustimmung der Braut einzuholen, und noch dazu in einem so außergewöhnlichen Fall wie dem vorliegenden, wo sich jeder Zweifel daran von selbst verbot?

"Also wirklich, Kind!" sagte er zurechtweisend, "wie kannst du so etwas erwarten? Wozu wäre das auch gut gewesen? Daß du dich glücklich schätzt, ihn zu heiraten, und daß es eine unermeßliche Ehre für dich ist, konnte ich ihm genausogut sagen wie du, und er hat es mir durchaus geglaubt. Im übrigen weiß er, was sich gehört. Aus Rücksicht auf deinen guten Ruf will er unser Haus vor der Hochzeit nicht mehr betreten und auch sonst nirgendwo mit dir zusammentreffen. Er läßt dir aber ausrichten, daß er mit der größten Achtung und Ehrerbietung an dich denkt und jederzeit alles in seiner Macht Stehende tun wird, um zu verhindern, daß du die Heirat jemals bereuen könntest. Soweit es die Versorgung betrifft, die er dir zusprechen will, dürftest du auch wirklich keinen Grund zur Reue haben, das kannst du mir glauben! Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie großzügig er ist!"

"Ja?" sagte Catterina Athenaïs, der Don Raffaels Großzügigkeit unter diesen Umständen mehr als gleichgültig war. Es kostete sie fast übermenschliche Beherrschung, nicht auszusprechen, daß sie diese Heirat nicht wollte, um keinen noch so traumhaft großzügigen Preis, und daß sie Don Raffael als Ehemann ebenso abstoßend finden würde wie jeden anderen Bewerber, die Schüler ihres Vaters eingeschlossen.

Sie sagte jedoch nichts; denn während ihr Vater weiterhin wortreich in seinen Glücksgefühlen schwelgte, sekundiert von einigen "wer hätte das gedacht?" und "das hätte ich mir niemals träumen lassen!" ihrer Mutter, hatte sie genügend Zeit, sich darüber klar zu werden, daß ihre Wünsche und Abneigungen bei einem solchen Handel völlig ohne Belang waren. Selbst wenn ihr Vater mehr Einsicht besessen hätte, so daß es ihm möglich gewesen wäre, Catterinas Einwände zu verstehen oder gar zu billigen — in dieser Angelegenheit wäre er trotzdem machtlos gewesen. Den Erben von Orsino wies man nicht ab. Wenn es ihm gefiel, sich eine Braut aus einer bürgerlichen Familie zu wählen, dann hatte diese bürgerliche Familie eben keine Wahl, und die erkorene Braut war zu stummer Duldung verurteilt.

Catterina schwieg also hartnäckig, ließ einige weitere Umarmungen ihrer Eltern über sich ergehen, widersprach nicht, als man ihr Schweigen für ein Zeichen das Glücks hielt, und sagte zu guter Letzt nicht mehr als: "Darf ich jetzt wieder in mein Zimmer hinaufgehen?"

Das wurde ihr gewährt. Allerdings war ihr Vater doch enttäuscht, als Catterina ihm erklärte, sie fühle sich krank und müde, sie wolle nichts mehr essen und bitte darum, sie an diesem Abend nicht mehr zu stören. Er hatte sich vorgestellt, daß sie beim Abendessen erscheinen würde, und daß dies die passende Gelegenheit sei, der Familie die herrliche Neuigkeit im Triumph zu eröffnen. Dennoch, das Ereignis hatte Catterina Athenaïs soviel Autorität verliehen, daß ihr Vater ihre Wünsche wenigstens in diesem Punkt respektierte. Er verschob die Eröffnung also auf das Mittagessen des folgenden Tages und verpflichtete auch seine Frau zur Verschwiegenheit; und die Mutter begleitete Catterina anschließend in ihr Zimmer hinauf, offenbar, weil sie hoffte, ein vertrauliches Gespräch mit ihr führen zu können. Catterina vereitelte dieses Unternehmen jedoch erbarmungslos, indem sie Kopfschmerzen vorschützte, und schloß die Tür hinter ihrer Mutter mit mehr Promptheit als Höflichkeit.


Zurück
zum 1. Kapitel
Zum Mittelstück

Zum Seitenanfang
Weiter
zum Kapitelende


TAURIS
Roman von Pia Frauss
2. Der fürstliche Segen/A