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KAPITEL SCHLUSS |
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5 Die |
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"Sprecht Ihr aus Erfahrung?" fragte Catterina mit einem Anflug von bösartigem Widerstreben. "Gewiß," erwiderte Don Raffael ein wenig erstaunt, "was erwartet Ihr? In meiner Lage muß ich täglich mit einem Mordanschlag rechnen! Laßt Euch im übrigen von keiner falschen Rücksicht auf das Leben des Angreifers zurückhalten; wenn er gefaßt wird, wird man ihn auf jeden Fall hinrichten. Aber ich fürchte, ich habe Euch schon mehr erschreckt, als Eurer Nachtruhe zuträglich sein kann. Es tut mir leid, daß ich Euch für diese Nacht Eurer Zofen beraubt habe; Ihr werdet hoffentlich einsehen, daß ich keine andere Wahl hatte. Dort drüben ist Euer Ankleidezimmer; Ihr werdet alles Nötige bereitfinden." Erst als sie sich erhob, merkte Catterina, wie müde sie war. Steif und benommen ging sie auf die bezeichnete Tür zu und hatte die Hand bereits auf der Klinke, als ihr einfiel, daß sie ohne Hilfe nicht aus ihren Kleidern kommen würde. Sie wandte sich also um, lehnte sich mit dem Rücken an die Tür und sagte leise: "Entschuldigt bitte — da ich keine Zofen habe, muß ich wohl Eure Hilfe beanspruchen." Don Raffael sah sie befremdet an, begriff dann aber und antwortete: "Ach ja, richtig! Ich vergaß — verzeiht mir." Und während er behutsam, fast ohne sie zu berühren, die Spangen an ihrem Kleid löste, fühlte Catterina einen heftigen Lachreiz, den sie nur mühsam zu unterdrücken vermochte. Sobald sie sich in ihr Ankleidezimmer gerettet hatte, ließ sie sich auf einen Sessel fallen, bedeckte das Gesicht mit den Händen und lachte lautlos, mit zurückgeworfenem Kopf. Es war der Unterschied zwischen ihren Befürchtungen und den tatsächlichen Ereignissen, der sie so erschütterte; und merkwürdigerweise ging dieses Lachen zuletzt in ein Schluchzen über, das ihr selbst rätselhaft schien. An diesem Punkt rief sie sich allerdings energisch zur Ordnung und sagte sich, daß kein Anlaß vorlag, sich wie eine Schwachsinnige zu benehmen; und dann machte sie sich daran, sich für die Nacht vorzubereiten, die ihrem Zeitgefühl nach ohnehin fast vorüber sein mußte. Da sie lange damit beschäftigt war, ihre komplizierte Frisur aufzulösen, wunderte sie sich nicht, Don Raffael bereits im Bett vorzufinden, als sie ins Schlafzimmer zurückkam. Er hatte die meisten der erreichbaren Kerzen gelöscht, und der Duft des Rauchs hing schwer im Raum. In den Lüstern brannten jedoch nach wie vor ein paar vereinzelte Kerzen weiter. Das Schlafzimmer war hell genug, und da Don Raffael keine Anstalten machte, den Blick abzuwenden, löste Catterina nur zögernd die Schleife des Umhangs aus weißer Seide, der ihre Nacktheit bedeckte. Don Raffael äußerte sich nicht, und Catterina schickte sich gleichfalls wortlos an, ins Bett zu steigen, als Don Raffael hörbar den Atem einzog und mit beträchtlicher Schärfe in der Stimme fragte: "Was ist das?" Catterina bemerkte verstört, daß er stirnrunzelnd auf jene Stelle zwischen ihren Brüsten blickte, wo die Wunde, die sie sich bei ihrem Selbstmordversuch beigebracht hatte, noch immer nicht ganz verheilt war. Sie hatte im Lauf des Abends begriffen, daß Don Raffael sich nicht mit Ausflüchten abspeisen ließ; und da sie zu müde war, um sich eine glaubhafte Lüge auszudenken, stieg sie mit einem Seufzer ins Bett, zog die Decke über ihre Brust und berichtete möglichst kurz, in verdrossenem Tonfall und wahrheitsgemäß, wie die Wunde entstanden war. Sie sah Don Raffael erst an, als sie zuende gesprochen hatte, und stellte fest, daß er sie immer noch ungläubig betrachtete. "Ihr seid sicher, daß dies die Wahrheit ist?" wollte er wissen. "Meint Ihr, ich würde Euch eine so dumme Geschichte erzählen, wenn sie nicht wahr wäre?" gab Catterina irritiert zurück. "Und Ihr seid sicher, daß Euch sonst nichts zugestoßen ist?" beharrte Don Raffael, "kein tätlicher Angriff, keine Übelkeit nach dem Essen?" "Gewiß doch," versicherte Catterina ungehalten, und da sie sich an seine Überredungstaktik erinnerte, fügte sie hinzu: "Weshalb sollte ich Euch einen solchen Vorfall verheimlichen, wenn er sich wirklich ereignet hätte?" Da geschah wieder einmal etwas Unfaßliches: Don Raffael begann zu lachen. Er lachte laut, lange und herzhaft; er ließ sich auf das Kissen zurückfallen und gab sich einer ausdauernden, ungezügelten Heiterkeit hin, die nicht verfehlte, Catterina gründlich zu kränken. Sie setzte sich daher im Bett auf und sagte ziemlich spitz: "Es freut mich ungemein zu sehen, daß Ihr mich so unterhaltsam findet! Vielleicht hättet Ihr aber doch die Güte, mir mitzuteilen, ob ich jedesmal einen Selbstmordversuch unternehmen muß, wenn ich den Wunsch verspüre, Euch zum Lachen zu bringen!" "Natürlich nicht," versetzte Don Raffael beschwichtigend und erhob sich auf den Ellbogen, "verzeiht mir! Ich wollte Euch nicht verletzen! Aber wenn ich an all die Sorgen denke, die ich mir gemacht habe, und an all die Sicherheitsvorkehrungen, die ich getroffen habe--! Es ist wahrhaftig höchst lächerlich, daß ich völlig unfähig gewesen bin, die einzige Gefahr zu erkennen, in der Ihr offenbar während dieser Wochen geschwebt habt — ausgerechnet ich, der sich soviel auf seine Menschenkenntnis einbildet!" Er lachte wieder; dann aber verstummte er plötzlich und starrte Catterina eine Zeitlang mit prüfenden Blicken an, denen sie unbeirrbar trotzig standhielt. Endlich sagte Don Raffael trocken: "Und ich habe mich ja auch gar nicht in Euch getäuscht. Ihr seid keine Selbstmörderin und werdet nie eine sein. Jemand, der solche Musik im Kopf hat wie Ihr, entschließt sich nicht so leicht zum Sterben, und Ihr seid zudem eine Kämpfernatur! Ich kenne diese halbherzigen Versuche, bei denen man sich von Ängsten und Rücksichten behindern läßt; glaubt mir, wenn man es wirklich ernst meint, hält einen nichts Derartiges zurück." Er zog die Decke von Catterinas Brust und betrachtete die Wunde mit fachmännischem Interesse. "Auf jeden Fall, scheint mir, habt Ihr das Messer ungeschickt angesetzt," teilte er ihr mit, "Ihr hättet das Herz entweder gar nicht getroffen oder gerade nur gestreift. Im ersten Fall hättet Ihr wohl nicht viel Schaden angerichtet, im zweiten aber wäre es ein langsamer und keineswegs angenehmer Tod gewesen." "Ihr kennt Euch aus," bemerkte Catterina mit ironischer Bewunderung. Sie war kaum weniger entrüstet als zuvor. "Anatomie ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Fechtunterrichts," erklärte Don Raffael lächelnd, "wenn Ihr wollt, kann ich Euch bei Gelegenheit ein paar Grundbegriffe dieser Wissenschaft auseinandersetzen." Dann strich er mit dem Handrücken leicht über Catterinas Wange. "Schlaft gut," sagte er unvermittelt, "Ihr habt nicht mehr allzuviel Gelegenheit dazu; allerdings habe ich Befehl gegeben, uns nicht vor Mittag zu stören." Er küßte Catterina — die seine Zärtlichkeit als Zumutung empfand und keine Anstalten machte, sie zu erwidern — auf die Stirn, bevor er sich zum Schlafen zurechtlegte; und offensichtlich schlief er sofort ein. So müde sie war, und obwohl das Bett alles hielt, was sein Anblick versprach, hatte Catterina doch Mühe, diesem Beispiel zu folgen. Sie lag noch längere Zeit wach, streichelte ihre schmerzende Schulter und starrte gebannt zu den Teufelchen auf der weißgekalkten Holzdecke empor, die mit dem Lichtgezüngel verlöschender Kerzen um die Wette tanzten. Beharrlich versuchte sie die Ereignisse der Nacht zu überdenken. Es gelang ihr jedoch nicht, ihre widerstreitenden Gefühle auf einen Nenner zu bringen, und je mehr sie sich plagte, umso verwirrender erschien ihr all das Unerwartete, das sie erfahren und erlebt hatte. Als der Schlaf sie endlich doch überwältigte, nahm sie das Grinsen einer blauen Teufelsfratze und eine ungeheuere Ratlosigkeit mit hinüber in ihre Träume. |
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TAURIS Roman von Pia Frauss 5. Die Hochzeitsnacht/S |