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TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

3    Catterinas
                   Väter


 
 
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Wenn der König oder der Fürst von Orsino nach Valanta kamen, stiegen sie in einem großen, Casa Reale genannten Gebäude ab, das eigentlich ein Seitenflügel des Rathauses war. Im dreizehnten Jahrhundert, als das Verhältnis zwischen König und Kaufleuten noch nicht durch für überhöht gehaltene Steuern belastet wurde, hatte die freie — das heißt, zu keiner Zeit einem Herzog tributpflichtige — Stadt Valanta diesen Bau gemeinsam mit dem Rathaus errichtet und der Familie Roccaferrata geschenkt. Es war ein langgestrecktes, dreigeschossiges Gebäude aus gelblichem Sandstein, das rechts vom Rathausturm die halbe Längsseite des ovalen Rathausplatzes einnahm. Hinter den Arkaden, welche die städtische Bauordnung seit Jahrhunderten für alle Häuser des Platzes vorschrieb, befand sich im Erdgeschoß der Casa Reale ein weitläufiger Küchen- und Wirtschaftstrakt, der im Bedarfsfall auch für Feste, die im Rathaus gefeiert wurden, zur Verfügung stand. Das zweite Stockwerk enthielt Räume für die Mitglieder des königlichen oder fürstlichen Gefolges, während das erste in zwei Zimmerfluchten aufgeteilt war: eine für den König und eine für den Fürsten von Orsino.

Die Räume des Königs waren seit vielen Jahren nicht mehr benutzt worden und standen leer. Ganz im Gegensatz dazu war das Appartement des Fürsten in den vergangenen achtzehn Jahren so häufig bewohnt worden, daß es ständig möbliert blieb und ständig gepflegt wurde. Das ergab sich als Folge zweier Tatsachen: der Fürst von Orsino war der bedeutendste Handelsherr und Valanta die bedeutendste Handelsstadt des Landes.

Auf dem Hauptplatz von Valanta, gegenüber dem Rathaus, befand sich die Börse, und vor dem Ausbruch seiner Krankheit war Francesco de Roccaferrata, der amtierende Fürst von Orsino, ein leidenschaftlicher Besucher dieser Institution gewesen. Sein Stand zwang ihn zwar dazu, stumm an einem Tisch zu sitzen und sich mit seinen Agenten durch Zeichen zu verständigen oder ihnen Zettel mit Aufträgen zuzuschieben; aber das Talent, das er bei seinen Geld- und Warengeschäften entwickelte, war so enorm, daß schon nach den ersten Monaten niemand mehr eine exzentrische Laune in seiner Anwesenheit erblicken konnte; allenfalls reagierte man mit Spannung und Angst auf sein Erscheinen.

Seit seiner Erkrankung jedoch hatte der Fürst Orsino kaum noch verlassen und seine Geschäfte notgedrungen von dort aus verwaltet; an seiner Stelle war Raffael de Roccaferrata nach Valanta gekommen. Er hielt sich inzwischen so häufig hier auf, daß die Stadt ihn bereits als ihren prominentesten Bürger betrachtete. Auch Don Raffael besuchte gelegentlich die Börse, aber er tat es ohne die Begeisterung, die sein Bruder dabei an den Tag gelegt hatte, und beschränkte sich meist tatsächlich auf die Rolle des Zuschauers; in den wenigen Fällen, wo er selbst Geschäfte tätigte, hatte er der allgemein herrschenden Ansicht zufolge keineswegs dieselbe glückliche Hand bewiesen wie sein Bruder. Niemand in Valanta dachte daran, ihm das zum Vorwurf zu machen; es erhöhte vielmehr seine Beliebtheit. Die Geschäftstüchtigkeit des Francesco de Roccaferrata war den Kaufleuten nicht ohne Grund unheimlich. Sie sahen es gern, daß sein designierter Nachfolger sich lieber auf Fechtböden und in Tanzsälen aufhielt als an der Börse, daß er Bücher und Waffen sammelte und die Musikakademie mit großzügigen Schenkungen bedachte. All dies waren Tätigkeiten, welche einem Mitglied der Königsfamilie besser zu Gesicht standen als das Schachern um Waren, und welche bei den Kaufleuten die Hoffnung nährten, das Handelswesen des Landes werde sich doch noch aus dem eisernen Würgegriff des Fürsten von Orsino lösen können, sobald dieser erst Raffael de Roccaferrata hieß.

Don Raffaels Auftreten in Valanta unterschied sich grundlegend von dem seines Bruders. Während jener das Haus nie anders als mit einer zahlreichen Eskorte von Lakaien und Soldaten verlassen hatte, fand Don Raffael nichts dabei, zu fast jeder Tages- und Nachtzeit unbegleitet durch die Straßen zu wandern. Der Fürst von Orsino war höchst ungesellig; er besuchte außerhalb des Königshofes keine Feste und gab niemals selbst ein Fest. Raffael de Roccaferrata dagegen war in allen gesellschaftsfähigen Häusern der Stadt ein häufiger und gerngesehener Gast und finanzierte zweimal pro Jahr ein großes Fest im Rathaus, zu dem der Stadtvorsteher und dessen Gattin in seinem Namen einluden. Anders als Don Francesco, der sich so rigoros von der Außenwelt abschloß, daß es für jemanden, den er nicht ausdrücklich zu sehen wünschte, beinahe unmöglich war, zu ihm vorzudringen, hatte Don Raffael ein offenes Ohr — und einen offenen Geldbeutel — für jeden Bittsteller, der ihm über den Weg lief. Weit entfernt davon, den Bürgern Valantas mit derselben kalten, ironischen Geringschätzung zu begegnen, die — wie all jene zu berichten wußten, die geschäftlich mit ihm zu tun hatten — das Verhalten des Fürsten kennzeichnete, betrug er sich gegen jedermann mit einer ganz natürlich wirkenden, offenbar angeborenen Freundlichkeit, die niemals wie Herablassung aussah.

Als untadelig empfand man in Valanta auch den Umgang des fürstlichen Erben mit den Frauen und Töchtern der Stadt: er behandelte alle gleichermaßen respektvoll und distanziert, gab keiner von ihnen Anlaß, sich übersehen zu fühlen, und trat keiner jemals zu nahe. Selbst die schlimmsten Lästerzungen hatten während der drei Jahre seiner Besuche kaum Gelegenheit gefunden, Mutmaßungen über ein mögliches engeres Verhältnis zwischen ihm und einer adligen oder bürgerlichen Einwohnerin der Stadt anzustellen: wenn derartige Gerüchte je entstanden waren, dann hatten besorgte Stadtväter wenig Mühe dabei gehabt, sie im Keim zu ersticken.

Andererseits war Don Raffael aber auch klug genug, die üble Nachrede zu fürchten, die über kurz oder lang eine unvermeidliche Folge geschlechtlicher Abstinenz zu sein pflegte, und so hatte er bei seinen Besuchen meist seine augenblicklichen Mätressen aus Horena mitgebracht — manchmal sogar zwei oder drei zu gleicher Zeit! —, die er in einem hübschen kleinen Haus am Rand der Oberstadt einquartierte und wenigstens zweimal in der Woche aufsuchte, natürlich nicht, ohne daß am folgenden Morgen die ganze Stadt davon wußte. In einem Land, wo Männer sich höchstens durch Enthaltsamkeit verdächtig machen konnten, wurde ein derartiges Verhalten geradezu für vorbildlich erachtet. Zählte man zu all diesen Vorzügen noch die Tatsache hinzu, daß er auf dem Fechtboden kaum seinesgleichen hatte, daß er ein geschickter Tänzer war, und daß, wie das Sprichwort von hübschen Menschen sagte, seine Nase genau da im Gesicht saß, wo sie sitzen sollte, so blieb nur ein Schluß übrig: wenn man anhand der Idealvorstellungen, welche die Bürger Valantas bezüglich des künftigen Fürsten von Orsino hegten, einen Menschen erschaffen hätte, dann hätte er ausgesehen und sich betragen wie Don Raffael. Seit den längst vergangenen Tagen des Clemens Maurizio Gιttano de Roccaferrata, dem die Stadt Valanta im Jahre 1228 auf den Königsthron verholfen hatte, war zweifellos kein Mitglied dieser Familie hier so beliebt gewesen. Er konnte es sich wirklich leisten, auf eine Eskorte zu verzichten: kein Straßenräuber der Stadt hätte gewagt, ihn zu überfallen, aus Furcht davor, bei einem eventuellen Mißlingen des Überfalls von einer wütenden Volksmenge in Stücke gerissen zu werden.


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
3. Catterinas Väter/A