|
|
KAPITEL MITTE |
|||||
Eine |
|
|
Fluchtwege standen Don Francesco in großer Zahl und bis zum Schluß offen; denn der König hatte nicht das mindeste Interesse daran, den zweitältesten Sohn des Fürsten von Tuoramena aufs Schafott und zwei weitere Söhne desselben Fürsten — die als Duellzeugen fungiert hatten — nach Alvisia zu schicken. Er sah die Affäre als einen alltäglichen Ehrenhandel zwischen zwei kampflustigen jungen Männern. Da Don Francesco zu diesem Zeitpunkt noch kerngesund und, den Beteuerungen seiner Ärzte zufolge, auch zeugungsfähig war, hielt der König Don Raffaels Leben zudem nicht für übertrieben schützenswert und wies erheblich verstimmt und nicht ohne Häme darauf hin, daß schließlich Don Francesco selbst jenes Ärgernis in die Welt gesetzt hatte, das zum Anlaß des Duells geworden war. Das konnte Don Francesco nicht abstreiten. Er hatte der Familie dell'Ipolda wirklich eine Beleidigung zugefügt, die förmlich nach blutiger Rache schrie. Die älteste Tochter des Fürsten von Tuoramena war die erste jener drei standesgemäßen Bräute gewesen, welche der König Don Raffael vorschlug, und Don Francesco hatte die Partie mit der Begründung abgelehnt, es bestehe Anlaß, an der Jungfräulichkeit der betreffenden Dame zu zweifeln; er hatte in der Folge sogar drei Ärzte, von denen die Dame sich freiwillig untersuchen ließ, bestochen, in seinem Sinne auszusagen. Eine solche Beschuldigung war absurd und unglaubwürdig. Die älteste Tochter des Fürsten von Tuoramena konnte geradezu als das Muster einer untadeligen Herzogstochter gelten: zweiundzwanzig Jahre alt, nicht übermäßig hübsch, hochnäsig und gravitätisch in ihrem Benehmen, von nie zuvor in Zweifel gezogener Tugendhaftigkeit, ging sie jeden Tag zur Messe, verbrachte nach kontinentalem Vorbild einen Großteil ihrer Zeit auf ihrem Betstuhl, strickte Strümpfe für die Armen und besuchte mehrmals im Jahr mit großem Pomp und Gefolge die Hospitäler von Atthagra, wo sie körbeweise Fallobst aus den Gärten ihrer Eltern verteilte. Kurz, sie war Don Francesco und Don Raffael, die sie beide kannten, gleichermaßen ein Greuel: Don Francesco, weil er Frauen im allgemeinen und Frömmelei im besonderen verabscheute, und Don Raffael, weil leicht durchschaubare Heuchelei ihm ebenso zuwider war wie eine Mildtätigkeit, die schon von weitem nach Geiz roch. Als Don Francesco ihn von dem königlichen Heiratsvorschlag informierte und nach seiner Meinung dazu fragte, hatte er deshalb mit unverhohlenem Entsetzen geantwortet, daß er sich in dieser Sache natürlich stets nach Don Francescos Wünschen richten werde, daß er aber, wenn es irgend möglich sei, die bewußte Dame lieber nicht heiraten wolle. Und Don Francesco war wirklich nicht gesonnen, seinen Bruder in eine Ehe zu treiben, die sich gewiß ebenso unerfreulich entwickeln würde wie seine eigene, zu deren glücklicher Auflösung er sich schon dreizehn Jahre lang reuelos gratulierte. Er machte den König daher in einem sehr moderaten Brief darauf aufmerksam, daß die vorgeschlagene Braut im Alter wohl besser zu Don Philipp passe, der als der Ältere auch zuerst verheiratet werden müsse, und daß Don Raffael ihm derzeit noch zu jung für eine Ehe scheine. Unseligerweise hielt der König es für ratsam, darauf zu erwidern, daß er Don Philipps Verheiratung als seine ureigenste Angelegenheit betrachte, mit der er sich befassen werde, sobald die rechte Zeit dafür gekommen sei; daß aber Don Raffael in den vergangenen beiden Jahren durch ein mitunter geradezu skandalerregendes Betragen genugsam bewiesen habe, wie sehr er zumindest körperlich für die Ehe reif sei. Seine Verheiratung sei schon aus diesem Grund dringend erforderlich: man könne ja wohl nicht länger geduldig mitansehen, wie ein Mitglied des Königshauses der Jugend des ganzen Landes derart mit schlechtem Beispiel vorangehe! Don Francesco, der seinen Bruder im Lauf der fraglichen zwei Jahre mit schöner Regelmäßigkeit wegen zahlloser Liebesabenteuer zurechtgewiesen hatte, war über die Vorwürfe des Königs zutiefst empört und beschloß unverzüglich, andere Saiten aufzuziehen. Und es war gerade das bigotte Benehmen der Schwägerin in spe, das ihm den Gedanken eingab, ihre Tugend in Frage zu stellen. Eine so absurde Behauptung reizte seinen stets wachen Sinn für das Komische, und er versprach sich davon eine amüsante Verwicklung. Leider machte er sich, bevor er den verhängnisvollen Schritt tat, allzuwenig Gedanken über den Unterschied zwischen einem Theaterstück und dem wirklichen Leben. Was er als Komödie begonnen hatte, entglitt deshalb schnell seiner Regie und verwandelte sich in eine Tragödie, in der ihm die Rolle des Schurken zufiel, und in der mehr als nur Theaterblut floß. Man mußte Don Francesco zubilligen, daß er den Part des Bösewichts sehr glaubhaft gestaltete. Nachdem er den guten Ruf der Isabella dell'Ipolda für alle Zeit vernichtet hatte, bestand er unerbittlich auf dem Tod ihres Bruders, obwohl er nicht leugnen konnte, daß dieser junge Mann sich insgesamt ehrenhaft und untadelig verhalten hatte, und obwohl er durchaus imstande war einzusehen, daß die Hauptschuld an der Affäre wirklich ihn selbst traf. Sein Motiv, diese Hinrichtung durchzusetzen, war freilich weniger persönliche Rachsucht als vielmehr der Wunsch, für alle Zukunft zu verhindern, daß Don Raffael je wieder ein Duell austrug. Er rechnete — ganz zutreffend — mit der abschreckenden Wirkung einer solchen Maßnahme und opferte bedenkenlos das Leben eines Unschuldigen, um das künftige Wohlergehen seines Bruders und seinen eigenen Seelenfrieden zu sichern. Eine Hinrichtung war den Gesetzen entsprechend tatsächlich mit ungeheueren Komplikationen verbunden: dazu gehörte nicht nur eine vierzehntägige Staatstrauer, die auf das Ereignis folgen mußte, gleichgültig, welchen Standes der Verurteilte und welches sein Verbrechen gewesen war, sondern auch ein Gespräch unter vier Augen zwischen dem König und dem Delinquenten, das der Vollstreckung des Urteils unmittelbar vorausging. Nach dem Gespräch konnte der König das Urteil bestätigen oder widerrufen. Da es allerdings, wie Don Raffael Catterina ganz richtig erklärt hatte, in der Rechtspraxis niemals vorkam, daß ein Todesurteil ohne voraufgehende königliche Anordnung verhängt wurde, war dieses Gespräch im allgemeinen nichts weiter als eine für beide Parteien quälende Formsache; und Clemens Felizio de Roccaferrata gehörte nicht zu den perfiden Naturen, die eine so ernste Angelegenheit bis zu diesem Punkt gedeihen ließen, um sich dann anders zu besinnen. Er unterzog sich einem solchen Gespräch nur mit dem äußersten Widerwillen, und während seiner Regierungszeit fanden deshalb sehr wenige Hinrichtungen statt. Aber die Auswege, die das Gesetz bereithielt, waren mit diesem Gespräch noch nicht erschöpft. Eine Hinrichtung durfte den Vorschriften zufolge nur in Gegenwart des Königs, des Klägers und des Richters, der das Urteil ausgesprochen hatte, vollzogen werden. Unmittelbar vor der Urteilsvollstreckung mußte der Richter auf offenem Platz den Kläger befragen, ob er auf der Hinrichtung bestehe, und ob er sicher sei, den Tod des Beklagten vor Gott, vor dem Gesetz und vor seinem Gewissen verantworten zu können. Verneinte der Kläger eine dieser Fragen, galt das Urteil als aufgehoben. In einem solchen Fall mußte der Prozeß auf Staatskosten wiederaufgenommen werden, aber mit der Prämisse, daß er diesmal nicht zu einem Todesurteil führen durfte. Bejahte der Kläger alle Fragen, wurde das Urteil unverzüglich vollstreckt; danach zeigte der Henker dem Kläger den abgeschlagenen Kopf, und der Richter befragte ihn noch einmal: ob er damit zufriedengestellt sei? Wenn Don Francesco schon wie ein Bösewicht handelte, so war er hierbei doch kein lachender Bösewicht. Obwohl sein Amt es mit sich brachte, daß er weit mehr abgeschlagene Köpfe sah, als ihm lieb war, hatte er sich zeit seines Lebens nicht an einen solchen Anblick gewöhnt. Er wurde jedesmal sterbenskrank davon, und es dauerte Tage, bis er danach wieder feste Nahrung bei sich zu behalten vermochte. Die Hinrichtung des Ottavio dell'Ipolda bildete keine Ausnahme von dieser Regel; sie machte ihm ebensowenig Freude wie dem König, dem sie zahlreiche schlaflose Nächte und noch mehr graue Haare bescherte. Obendrein fehlte dem Ereignis keine unangenehme Begleiterscheinung, die es haben konnte, und der König verzieh Don Francesco lange nicht, daß er ihn gezwungen hatte, dem verzweifelten Flehen eines in Tränen zerfließenden Elternpaars mit einer Hartherzigkeit entgegenzutreten, die seiner Natur nicht entsprach, und die er vor sich selbst nicht verantworten mochte. Don Francesco — natürlich — hatte sich standhaft geweigert, den Fürsten von Tuoramena und dessen Gattin zu empfangen, und hatte seinem Onkel diese peinvolle Pflicht überlassen. Ottavio dell'Ipolda, ein höchst schätzenswerter junger Mann von einundzwanzig Jahren, zeigte weit mehr Gemütsruhe als seine Eltern. Er hatte schon seit jenem Moment mit dem Leben abgeschlossen, als er sich nach einer Beratung mit seinen Brüdern bereiterklärte, Don Raffael zum Duell zu fordern. Er starb deshalb mit vorbildlicher Haltung, nachdem er sich noch auf dem Schafott von seinen Eltern verabschiedet und — natürlich vergeblich — versucht hatte, sie zu trösten. Der Volksmund versäumte nicht, einen Helden und Märtyrer aus ihm zu machen, während Don Francesco durch das Ereignis endgültig zum kinderfressenden Ungeheuer avancierte, mit dem ganze Heerscharen von Kinderfrauen ihre ungebärdigen Zöglinge zu ängstigen versuchten. |
Zum Kapitelanfang | Zum Kapitelschluss | |
Stammtafel Namenliste |
Zum Seitenanfang |
Kapitelanfänge Kapitelschlüsse |
Mittelstücke | ||
TAURIS Roman von Pia Frauss 11. Ein Bruderzwist im Hause Géttano M |