|
|
KAPITEL MITTE |
|||||
|
|
|
Das Gut Sant'Ansaldo dei Pepoli — bei den Einheimischen hieß es Fontansallo — erstreckte sich gegenüber der Stadt Ubaldiano vom Zarontaufer über viele Morgen welligen Landes bis hinauf zu einer bewaldeten Erhebung — kein Hügel mehr, aber auch noch lange kein Berg —, in deren Schatten das Gutshaus lag. Es war fruchtbarer Boden, und Corleon begann mit steigender Achtung für seinen Bruder unwillkürlich die Weizenfelder zu zählen, an denen er auf seinem Weg vorbeikam. Er traf Astorre schon, bevor er das Gutshaus erreichte; denn die Getreideernte hatte eben begonnen, und Astorre pflegte während dieser Zeit jeden Nachmittag auf den Feldern nach dem Rechten zu sehen. Da es ein wolkenlos heißer Tag war, trug er einen alten Schlapphut, aber kein Wams, hatte die Ärmel seines Hemdes aufgekrempelt und zeigte mehr behaarte Brust, als einem Herrn von Stand zukam — kurz, er wirkte so verbauert, daß Corleon ihn nur an seinem Pferd erkannte, einer makellos schönen Fuchsstute, die bereits im Mai des Vorjahres, bei Astorres letztem Besuch in Chiaparvo, seine Bewunderung und Domenicos Neid erregt hatte. Was Corleon hingegen gar nicht gefiel, war der Blick, mit dem Astorre ihn empfing. Ein bißchen Mißtrauen hatte er erwartet, aber nicht diese geballte Ladung finsterer Wachsamkeit. Wer mißtrauisch ist, weiß noch nicht recht, wie er sein Gegenüber einschätzen soll; Astorre schien jedoch zweifelsfrei davon auszugehen, daß er einen Feind vor sich hatte. "Woher des Wegs?" fragte er brüsk, ohne sich mit einer Begrüßung oder Bekundung seines Erstaunens aufzuhalten. "Habt Ihr mir etwas auszurichten?" Corleon erklärte, er sei auf dem Weg nach Atthagra, habe sich dabei aber kurz nach seinem Bruder umsehen wollen — denn diese unselige Geschichte sei doch kein Grund, die Verbindung ganz abreißen zu lassen! Das machte Astorre keineswegs zutraulicher. "So —?" war alles, was er darauf erwiderte, in einem Tonfall, der deutlich besagte: "Denkt Euch eine bessere Lüge aus." Er erkundigte sich auch nicht, wie Corleon gehofft hatte, nach dem Zweck der Reise. Und dann kehrte er tatsächlich noch nicht einmal um, um seinen korrekt gekleideten, verschwitzten, verstaubten und durstigen Bruder zum Haus zurückzubegleiten, sondern lud ihn ein — nein, erlaubte ihm —, an seinem Rundritt durch die Felder teilzunehmen. Bei diesem Rundritt machte Corleon zudem die irritierende Beobachtung, daß Astorre niemals vor ihm, sondern stets mit wenigstens einem halben Schritt Rückstand neben ihm ritt und nur dann aufschloß, wenn sie in Sichtweite eines Feldes kamen, auf dem das Gesinde bei der Arbeit war. Es war mühsam, unter solchen Umständen ein Gespräch in Gang zu halten, und Astorre blieb unverändert einsilbig, sogar als Corleon, um ihn versöhnlicher zu stimmen, in bewunderndem Ton nach Gutsangelegenheiten zu fragen begann. Dabei war Astorre an diesem Nachmittag weit besser gelaunt als sonst. Der Blick von den Hügelkämmen über die vielen Felder, die im Sonnenlicht fast so sattgelb leuchteten wie das Metall, in das ihre Früchte sich binnen kurzem verwandeln würden, mußte den trübsinnigsten Gutsbesitzer aufheitern. In den letzten Monaten hatte sich kein einziges schweres Unwetter nach Ubaldiano verirrt, und da andere Landesteile nicht so glücklich gewesen waren, durfte Astorre nicht nur mit einer außergewöhnlich guten Ernte, sondern auch mit einem günstigen Getreidepreis rechnen. Nachdem Corleon ihn durch ein paar besonders inkompetente Fragen zusätzlich amüsiert hatte, entschloß er sich deshalb zum Handeln. Sobald das nächste bevölkerte Feld in Sicht kam, schnitt er die Auslassungen seines Bruders mit der Frage ab: "Wollt Ihr mir nicht endlich sagen, was Euch herführt?" Auf direkte Fragen direkt zu antworten, entsprach eigentlich nicht Corleons Wesensart; aber er hatte seinerseits genug Zeit gehabt, die Präliminarien ermüdend zu finden. "Seltsam, daß Ihr danach erst fragen müßt; es ist schließlich ein Kasus, der die ganze Familie angeht — und vor allem Euch! Ich möchte wissen, wie Ihr Euch zu der Schwangerschaft unserer Schwägerin Bianca stellt." "Schwangerschaft!" wiederholte Astorre und preßte die Knie unwillkürlich so gewaltsam in die Flanken seines Pferdes, daß es einen Satz vorwärts machte und sich, als er am Zügel riß, schreiend und augenverdrehend aufbäumte. Corleon wagte kaum an sein Glück zu glauben. "Kann es sein, daß Ihr davon noch nichts gewußt habt?" "Wie Ihr seht, habe ich keine Zeit, mich um Hofklatsch zu kümmern," antwortete Astorre wütend, sobald es ihm gelungen war, sein Pferd zu beruhigen, "und, verehrter Bruder, bevor Ihr mich weiter mit Fragen belästigt, solltet Ihr eines bedenken: das letzte Mal, als jemand mit mir über unsere Schwägerin zu sprechen versuchte, hat es kein gutes Ende genommen." Er tätschelte den Hals seines Pferdes, während er sprach, um es nicht durch den drohenden Klang seiner Stimme neuerdings nervös zu machen, und empfand dabei einen jähen Anflug von Dankbarkeit für den Schurken, der neben ihm ritt. In all den Monaten, die seither vergangen waren, hatte er niemals freiwillig von seiner Entgleisung gesprochen; aber jetzt konnte er, schlagartig, sogar ohne Schuldgefühle daran denken. Offenbar hatte erst Corleon auftauchen müssen, damit ihm klar wurde, wie übertrieben sein schlechtes Gewissen gewesen war. Und Corleon tat ihm obendrein den Gefallen, sich eingeschüchtert zu zeigen. "Ich wollte nichts Böses über unsere Schwägerin sagen, gewiß nicht," versicherte er eilig. "Aber Tatsache ist, daß sie Anfang nächsten Jahres — soviel man hört, spätestens im Februar — Mutter werden wird, und daß Domenico nicht der Vater ihres Kindes sein kann. Sie hat Atthagra in diesem Jahr noch nie verlassen, und Domenico hat die Stadt seit Anfang April nicht mehr betreten." "Nun, dann muß ich wohl hoffen, daß sie nicht allzuviel Schwierigkeiten bei der Niederkunft hat," sagte Astorre kalt. "Aber ich sehe nicht, auf welche Weise die Sache mich sonst betreffen sollte." Corleon war aufrichtig erschüttert. Er hatte Astorre stets für dumm gehalten; aber soviel Dummheit... War das noch glaubhaft? "Wie könnt Ihr so reden?" fragte er empört. "Es geht schließlich um die Erbfolge! Wollt Ihr tatenlos mitansehen, wie ein Bastard Euch um Euer gutes Recht bringt?" "Und was, verehrter Bruder, stellt Ihr Euch vor, daß ich dagegen tun kann? Mir scheint, die Sache ist weit eher Domenicos Problem als meines." "Das glaube ich nicht," widersprach Corleon und spielte genüßlich seinen Trumpf aus. "Ich weiß mit Sicherheit, daß Domenico entschlossen ist, Don Raffaels Sohn als seinen Erben anzuerkennen." Er hoffte mehr denn je, Astorre die Fassung zu rauben, und ließ ihn deshalb nicht aus den Augen, während er das Geheimnis verriet. Was er sah, kam ihm höchst seltsam vor. Astorres Pferd machte diesmal keinen Sprung, und obwohl Astorre sofort den Kopf abwandte, hatte Corleon doch rechtzeitig bemerkt, daß es keineswegs Zorn war, was er dabei verbergen wollte, sondern ein Lächeln: das Lächeln eines Menschen, der eben einen köstlichen Scherz gehört und Mühe hat, nicht laut loszulachen. Auch als er endlich sprach, zitterte seine Stimme noch vor kaum zu unterdrückender Heiterkeit. "Nun," sagte er, "dann hat Domenico in der Tat ein großes Problem. Soviel ich weiß, ist für eine solche Anerkennung die Präsenz des Vaters am Kindbett bei oder kurz nach der Geburt erforderlich." Das konnte Corleon nicht abstreiten; aber es schien ihm kein hinreichender Grund für Astorres Belustigung. "Nehmen wir nur einmal an, es gelingt ihm tatsächlich?" beharrte er. Astorre brachte sein Pferd zum Stehen und wandte sich seinem Bruder zu. "Da Ihr soviel Wert auf meine Ansicht legt, werde ich sie Euch jetzt erklären; und danach wollen wir, wenn es Euch recht ist, nie wieder von der Sache sprechen. Ihr müßt mir verzeihen, daß ich das Ganze vom Standpunkt eines Pferdezüchters aus betrachtete. Was nutzt der schönste Zuchthengst, sobald er steril wird? Man muß ihn durch einen neuen ersetzen; und hier, so scheint es, ist die zweite Wahl ohnehin die bessere. Oder wollt Ihr mir etwa weismachen, ein Roccaferrata sei schlechter als ein Barri? Im übrigen hole ich auch keinen geistlichen Beistand, bevor ich meine Pferde kopulieren lasse, und der Nachwuchs verliert dadurch gewiß nicht an Wert. Und noch etwas, was den Wert von Bastarden betrifft! Diese Stute hier ist ein reines Vollblut — was glaubt Ihr, wieviel sie mir bei einem Verkauf einbrächte?" Corleon, der von einem Staunen ins andere fiel, wurde von dieser Frage so überrascht, daß er tatsächlich darauf antwortete. "Zweihundertfünfzig bis dreihundert Goldkronen, nehme ich an; aber, verehrter Bruder —" "Nun, seht Ihr! Ein gutes Maultier bringt fast vierhundert." Als er das sagte, warf Astorre einen dankbaren Blick auf die Bergkette, die am jenseitigen Zarontaufer den Horizont begrenzte. Irgendwo hinter dieser blauschimmernden Silhouette besaß der Fürst von Bonavera zwei florierende Silberminen in unwegsamem Gelände und war deshalb einer seiner zahlungskräftigsten Stammkunden. "Ich will damit natürlich nichts gegen Don Raffael gesagt haben," setzte er hinzu, "denn der einzige Esel in dieser Vaterschaftsaffäre ist ja wohl unbestreitbar Domenico." Corleon starrte sprachlos in das naivlächelnde Gesicht seines Bruders. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal so dreist mit Hohn und Spott übergossen worden war; und noch dazu von Astorre, den er stets für einen ausgemachten Dummkopf gehalten hatte! Wie war das möglich? Wie kam Astorre dazu, sich über eine Nachricht lustig zu machen, die aus mehr als einem Grund geeignet war, ihn in Wut zu versetzen? Irgendetwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu. |
Zum Kapitelanfang | Zum 1.Mittelstück Zum 3.Mittelstück | Zum Kapitelschluss |
Stammtafel Namenliste |
Zum Seitenanfang |
Kapitelanfänge Kapitelschlüsse |
Mittelstücke | ||
TAURIS Roman von Pia Frauss 18. Angelicas Väter M |