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MITTE
TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

Zwei Ärgernisse
  des ersten Hofballs


(Auszug aus Kap. 10)


 
 
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Beim Abschied empfahl Don Raffael ihr noch, keine allzu großen Erwartungen in das abendliche Fest zu setzen. "Wißt Ihr," sagte er, "in Valanta hat man Feste von jeher besser zu feiern verstanden als am Hof, und seit die Tochter des Königs gestorben ist, ist man hier noch philiströser geworden als ehedem."

"Ihr wollt mir schonend beibringen, daß man meinetwegen keinen großen Aufwand treiben wird," stellte Catterina trocken fest.

"Das habe ich nicht gemeint; aber Ihr habt recht, das kommt gewiß noch hinzu. Ich entschuldige mich schon im vorhinein für die Knausrigkeit und Unfreundlichkeit meiner Verwandtschaft; aber glaubt mir, sie hat sich nicht erst bei Eurem Erscheinen auf diese Eigenschaften besonnen! Und wenn Euch bei Gelegenheit etwas einfällt, Liebste, womit ich Euch entschädigen kann, dann laßt es mich wissen."

Da sie vorerst von ihren schlimmsten Ängsten — allmählich zu verhungern oder vor der Zeit Witwe zu werden — befreit war, sah Catterina den drohenden Unbilden mit Gelassenheit entgegen und beteuerte, sie nehme nicht an, daß sie unter den Mängeln des Festes übermäßig leiden werde; und noch unwahrscheinlicher sei, daß sich dabei etwas ereignen könne, wofür Don Raffael sie nicht schon im voraus reichlich entschädigt habe.

"Wartet es ab," sagte Don Raffael; und tatsächlich mußte Catterina, als sie ein paar Stunden älter und um einige Erfahrungen reicher geworden war, die Berechtigung seiner Skepsis erkennen. Das Fest war glanzlos und hielt dem Vergleich mit jenem strahlenden Ereignis in Valanta in keiner Hinsicht stand; es verdiente fast nicht, mit demselben Namen bezeichnet zu werden. Man hatte an allem gespart: an der Dekoration, an der Saalbeleuchtung und nicht zuletzt bei der Festaufführung, welche aus unerfindlichen Gründen die Rettung der Andromeda durch Perseus zum Gegenstand hatte. Es war eine kurze, einfallslose Inszenierung und zudem eine, die keineswegs eigens für diesen Zweck einstudiert, sondern ein Jahr zuvor bereits bei einem anderen Hofball aufgeführt worden war. Don Raffael empfand das als haarsträubende Beleidigung — und etwas anderes konnte man schwerlich im Sinn gehabt haben —, die seinen Groll gegen den König noch beträchtlich steigerte.

Da Catterina nichts von den Zusammenhängen wußte, fand sie an der Festaufführung nur die Musik unerträglich, die in ihren Ohren pedantisch und schwerfällig klang. Ansonsten stellte sie keine allzugroßen Ansprüche und nahm deshalb kaum Notiz von jenen Unzulänglichkeiten und Nachlässigkeiten, die Don Raffaels Zorn weckten. Wenn der Ball dennoch zeitlebens einen bevorzugten Platz in der Liste ihrer unerfreulichen Erinnerungen innehatte, so lag das ausschließlich an jenem Tanz mit Don Philipp, der Don Raffaels Talent als Unheilsprophet aufs glänzendste bewies.

Es war der zweite Tanz des Abends und einer jener gravitätischen Schreittänze, die sich trotz ihrer unterschiedlichen Namen in verwirrender Weise glichen. Sie waren allesamt zwar sehr langwierig, aber völlig unkompliziert in der Ausführung. Da sie den Tänzern wenig Konzentration abverlangten, ließen sie ihnen viel Zeit für Gespräche; und Don Philipp machte sich diesen Vorteil ausgiebig zunutze, als er mit Catterina tanzte.

Während sie zum erstenmal den Saal entlangschritten, schwieg er freilich noch und betrachtete Catterina aufmerksam von der Seite. Auf dem Hofball trug sie verabredungsgemäß eines jener flachen Barette, die der Schneider der Herzogin für sie angefertigt hatte. Es bestand aus demselben blaugrün schillernden Stoff wie ihr Kleid, war ebenso wie dieses mit einem zarten Rankenmuster aus Goldfäden bestickt und zusätzlich mit einer Perlenschnur und zwei flaumig-weißen, keck gebogenen Federchen verziert. Unter dem Kopfputz hatte man die ölglänzende Haarpracht in einer kunstvollen Flechtfrisur aufgetürmt, wie Catterina sie schon vor ihrer Heirat getragen hatte, und mit einem edelsteinglitzernden Goldnetz zusammengefaßt — eine Aufmachung, die sich nicht nur kostbar, sondern auch kleidsam und höchst elegant ausnahm. Außer Laura Asturini trug niemand im Saal die gleiche Kopfbedeckung; und da Catterina hübscher war als die Herzogin, durfte man jetzt ohne Übertreibung behaupten, daß sie alle Hofdamen überstrahlte. Es mochte wohl zutreffen, daß sie wie ein Falke auf dem Hühnerhof wirkte; aber diesmal ging der Vergleich fraglos auf Kosten der Hühner.

Catterina hatte beim Blick in den Spiegel selbst bemerkt, wie vorteilhaft der neue Kopfputz war. Daß sie sich damit wohler und sicherer fühlte, ließ schon ihr Gesichtsausdruck erkennen, dem die verbissene Strenge des Vortags völlig fehlte. Und so war es kein Wunder, daß Don Philipp das Gespräch mit der Feststellung eröffnete: "Verehrte Cousine, heute seht Ihr aber sehr viel hübscher aus als gestern."

Catterina dankte ihm. Es war eine halbwegs schmeichelhafte Bemerkung, die zudem ihrer eigenen Ansicht entsprach, und sie fragte sich, warum sie sich trotzdem darüber ärgerte. Vermutlich war es der deutlich spürbare Unterton von "wer hätte das gedacht!", der ihr daran mißfiel. Da sie folglich keinerlei Anstrengung machte, das Gespräch fortzusetzen, unternahm Don Philipp nach einem kurzen Schweigen einen neuen Vorstoß. "Ich hätte mir nie träumen lassen," sagte er, "daß es mir beschert sein würde, den Tag zu erleben, an dem die Lex Lorenzo zum erstenmal angewandt wird! Und dabei ist es doch, wie man an Euch sehen kann, eine durchaus begrüßenswerte Verfügung, welche die Familie jedenfalls an Schönheit bereichert!"

Diesmal hatte er mehr Erfolg. Catterina, die einsah, daß sie den Tanz nicht schweigend würde beenden können, ohne für alle Zeit als ungehobelt und stumpfsinnig verschrieen zu sein, erkundigte sich, was sie unter der Lex Lorenzo zu verstehen habe. Don Philipp sah sie daraufhin mit schlecht gespieltem Erstaunen an und versetzte, er könne nicht glauben, daß Don Raffael sie über das betreffende Gesetz nicht aufgeklärt habe. Eine solche Nachlässigkeit sei geradezu unvorstellbar, behauptete er, "vor allem, wenn man in Betracht zieht, daß er Euch, wie mir zuverlässig berichtet wurde, während der ganzen Reise von Valanta bis nach Atthagra mit historischen Vorträgen gelangweilt hat!"

Diese Behauptung bewirkte immerhin, daß Catterina aus dem Takt kam und zwei falsche Schritte machte. Sie fing sich jedoch rasch wieder, und während sie innerlich vor Empörung Funken sprühte, erwiderte sie mit größtmöglicher Kälte: "Verehrter Vetter, ich weiß nicht, aus welcher Quelle Ihr Eure Nachrichten bezieht; aber mir scheint, so zuverlässig, wie Ihr annehmt, kann sie nicht sein! Erlaubt mir deshalb, einen grundlegenden Irrtum zu berichtigen, in dem Euer Informant sich befindet! Ich bin bereit, jeden denkbaren Eid darauf zu schwören, daß Don Raffael mich, seit ich mit ihm verheiratet bin, noch keinen Augenblick gelangweilt hat."

Auf soviel Schlagfertigkeit war Don Philipp offenbar nicht gefaßt gewesen; kurzfristig sprachlos, schnappte er hörbar nach Luft. Catterina nahm die Pause zum Anlaß, der Unterhaltung eine, wie sie hoffte, harmlosere Richtung zu geben. Sie setzte also hinzu: "Und ich verpreche Euch, daß auch Ihr mich nicht langweilen werdet, wenn Ihr so gnädig sein wollt, mich von meiner Unwissenheit zu erlösen, indem Ihr mir den Inhalt des betreffenden Gesetzes erklärt."

Und wirklich ging Don Philipp auf ihren Vorschlag ein. Er tat es freilich mit dem Hintergedanken, daß solche Erläuterungen ihm Zeit und Gelegenheit verschaffen würden, einen neuen Angriff vorzubereiten, nachdem der erste unversehens abgeschlagen worden war. Catterina erfuhr deshalb in aller Ausführlichkeit, daß es sich bei der sogenannten Lex Lorenzo um jenes Gesetz handelte, das nichtadlige Ehen der Königsfamilie legitimierte, und von dem der Fürst ihr bei der ersten Begegnung erzählt hatte. Don Philipp ging jedoch über die Darstellung des Fürsten hinaus, indem er auch von der Entstehung dieser Verfügung berichtete...


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
10. Gift und Galle M