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SCHLUSS
TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

17    Kleinere
                Katastrophen


 
 
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Als die sechs Hofdamen hinausgingen, war Bianca Barri die letzte, die sich der Prozession anschloß. Sie blieb in der offenen Tür stehen und wandte sich um. Diesmal suchte sie Don Raffaels Blick, und als er sich gezwungen sah, ihr Verweilen zu bemerken, deutete sie einen Knicks an. Don Raffael ging nur widerwillig auf diese Aufforderung ein, sie anzusprechen, und sagte mit aller Freundlichkeit, die er aufzubringen vermochte — und das war nicht eben viel —: "Gibt es noch etwas zu bereden?"

"Ein Wort noch, Eure Hoheit, wenn Ihr so gütig sein wollt."

Zum Glück waren die Lakaien bereits weggegangen, um Vorbereitungen für das Essen zu treffen. Don Raffael schickte den letzten hinaus, der die Tür aufhielt, und befahl ihm, sie zu schließen. "Ich höre," sagte er dann schicksalsergeben.

Bianca Barri war inzwischen wieder zur Vernunft gekommen und nicht wenig erschrocken, als sie sich sowohl die unvermeidbaren als auch die möglichen Konsequenzen ihrer Übereilung ausmalte. "Eure Hoheit," erklärte sie deshalb jetzt, "ich möchte nichts tun, was Ihr nicht billigt. Wenn Ihr es für nötig haltet, werde ich das Amt auch jetzt noch ablehnen — ganz gleichgültig, welche Folgen das für mich hat."

"Was soll das heißen?" fragte Don Raffael ärgerlich. "Muß man Euch wirklich erst sagen, wie ungehörig es ist, die Wünsche und Anordnungen Eurer künftigen Herrin hinter ihrem Rücken in Frage zu stellen?" Dann fiel ihm ein, daß ein so hochherziges Angebot eine freundlichere Antwort verdiente. "Ihr seid nicht die einzige Person, die heute abend einen Fehler begangen hat," setzte er daher wesentlich sanfter hinzu, "und Ihr sollt folglich auch nicht die einzige sein, die unter den Auswirkungen dieser Fehler zu leiden hat. Wir erwarten Euch morgen zum Abendessen."

"Warum habt Ihr nicht verlangt, daß sie die Stellung ablehnt?" fragte Laura Asturini empört, sobald die Tür sich hinter Bianca Barri geschlossen hatte. "Das wäre doch die einfachste Lösung gewesen!"

"Da seid Ihr sehr im Irrtum, verehrte Schwester. Es wäre noch viel einfacher gewesen, wenn ich die Donna Bianca einfach übergangen hätte, als ich die Wahl meiner Frau bekanntgab, und eine andere Dame an ihrer Stelle genannt hätte. Meine Frau und ihre Hofdamen sind im Nebenzimmer, und Ihr hättet mir gewiß ebensowenig widersprochen wie die Donna Bianca."

"Ja, und warum habt Ihr das dann nicht getan?" stöhnte Laura Asturini und war nahe daran, die Hände zu ringen.

Don Raffael sah ihre Verzweiflung eine Weile erbarmungslos mit an und schlug dann vor: "Vielleicht ist es mir nicht rechtzeitig eingefallen." Er hatte durchaus daran gedacht, schon während des Gesprächs zwischen Catterina und Bianca Barri; aber er hatte es nur für den äußersten Notfall in Betracht gezogen, nämlich, daß Catterina darauf bestand, die Gräfin Ostasio in ihre Dienste zu nehmen. Aber selbst dabei war er nicht sicher gewesen, ob es nicht besser sein würde, Catterinas Wunsch fürs erste nachzugeben und der Gräfin dann baldmöglichst eine Falle zu stellen, so daß man sie mit Schimpf und Schande davonjagen konnte. Das hätte freilich einen offenen Bruch mit der Familie da Mertola bedeutet. Der Tag, an dem diese Feindschaft zutage treten würde, lag zwar ohnehin nicht mehr fern; aber Don Raffael war doch sehr erleichtert darüber, daß er nicht gezwungen worden war, eine Entscheidung zu treffen und den folgenschweren Schritt womöglich verfrüht zu tun. Und was die andere Angelegenheit betraf — nachdem das Unglück einmal geschehen war, daß Catterina ihr die Stellung anbot, lag ihm nichts daran, Bianca Barri der Gnade seiner Schwester und seines Onkels auszuliefern. Er wußte gut genug, daß man von dieser Partei weder Dankbarkeit noch Barmherzigkeit erwarten durfte.

"Und Eure Frau — was hat sie sich dabei gedacht?" jammerte die Herzogin. "Warum hat sie das getan? Wie konnte sie nur —?! Hat Don Philipp ihr denn nicht gesagt...?"

"Was?" fragte Don Raffael und brachte seine Schwester mit einem kalten Blick zum Schweigen. "Was soll Don Philipp ihr gesagt haben?" Er hatte eine ziemlich genaue Vorstellung von Catterinas Beweggründen, aber nicht das mindeste Interesse daran, Laura Asturini auch nur andeutungsweise damit bekannt zu machen, und so stellte er ihr lieber eine Frage, auf die sie nach Lage der Dinge nicht antworten konnte. "Verehrte Schwester, wenn Eure Absichten nicht so leicht zu durchschauen wären, wäre ich sehr wohl imstande, Euch die gleichen Fragen zu stellen! Was ist Euch da eingefallen? Wie konntet Ihr nur —? Ihr solltet nicht vergessen, daß Ihr es gewesen seid, die diesen Namen in die Liste aufgenommen hat; und Ihr dürft sicher sein, daß ich es keinesfalls vergessen werde."

"Aber ich habe doch niemals damit gerechnet, daß Eure Frau sich in den Kopf setzen würde, gerade Bianca Barri auszuwählen! Und Ihr müßt zugeben, daß Ihr auch nicht damit gerechnet habt! Hättet Ihr ihr die Liste sonst gezeigt?"

"Ich gebe zu, das war mein Fehler," sagte Don Raffael, "aber als Entschuldigung für den Euren werde ich das nicht gelten lassen." Dann mußte er plötzlich lächeln. Wie verärgert er auch sein mochte, er besaß eine Eigenschaft, die spätere Zeiten Sportsgeist getauft haben; will sagen, die Fähigkeit, eine Meisterleistung selbst dann zu würdigen, wenn sie auf seine Kosten zustandekam. "Mit dem heutigen Tag gebe ich alle Ansprüche auf Menschenkenntnis auf," versicherte er. "Wenn ich jemals einen Menschen in jeder Beziehung unterschätzt habe, dann ist es diese Frau! Dolch gegen Säbel — darin ist sie unschlagbar! Sind wir nicht dagesessen wie zwei abgekanzelte Schulkinder? Ich habe noch nie erlebt, daß jemand so geschickt in seiner eigenen Falle gefangen wurde. Wäre es ein Gerichtsprozeß gewesen, dann hätte er gewiß Geschichte gemacht! Weiß Gott, ich hätte sie nicht heiraten, sondern ihr einen Richterposten beim Kriminalgericht verschaffen sollen." Obwohl man, fügte er im stillen hinzu, in einem solchen Fall leider davon ausgehen müßte, daß sie mit jedem hergelaufenen Schurken mehr Nachsicht haben würde als jetzt mit mir. Das erinnerte ihn an eine ganz ähnliche Bemerkung, auf ihn selbst gemünzt, die er zwei Tage zuvor aus Don Francescos Mund gehört hatte... Und nun würde Don Francesco tatsächlich gezwungen sein, gerade die Frau als Mitglied seines Haushalts zu begrüßen, die er eben noch mit den schlimmsten Schimpfwörtern seines Vokabulars bedacht und mit einer Anklage wegen Gattenmordes bedroht hatte — ein ungeheuerlicher Gedanke! Das konnte ja heiter werden. Don Raffael gratulierte sich abermals dazu, die Anklageschrift verbrannt zu haben, und hoffte inständig, daß sich wirklich kein zweites Exemplar in Atthagra befand; denn völlig undenkbar schien es nicht, daß Don Francesco bei dieser Gelegenheit in Versuchung geriet, seine Drohung wahrzumachen.

Er betrachtete seine Schwester mit strengen Blicken. Selbst die Beobachtung, daß sie zutiefst niedergeschlagen wirkte und nicht einmal mehr zu der Bosheit fähig gewesen war, seiner letzten Bemerkung zuzustimmen, vermochte ihn nicht zu besänftigen. "Wir werden ja sehen, wie Don Francesco die Sache aufnimmt," äußerte er unheilverkündend. "Und wenn das auch vorläufig mein Problem ist, so habt Ihr doch ein ganz ähnliches, was Don Felizio betrifft! Ich bin gespannt, wie Ihr ihm den kleinen Scherz begreiflich machen werdet, den Ihr Euch da auf meine Kosten erlauben wolltet! Und wagt es nicht, ihm zu sagen, daß meine Frau bei dieser ganzen Geschichte etwas anderes getan hat, als das Spiel zuende zu spielen, das Ihr ohne Not und Zwang begonnen habt."

Die Herzogin antwortete nicht und sah so elend aus, daß er sich doch verpflichtet fühlte, ihr beim Abschied etwas halbwegs Tröstliches zu sagen. "Warten wir die Folgen ab! Da sich an dem Unglück nichts mehr ändern läßt, können wir immerhin noch hoffen, daß es sich auf Dauer als nicht so groß erweisen wird, wie wir jetzt glauben. Und wenn ich bedenke, wie klug und umsichtig meine Frau in allen anderen Fällen gewählt hat, frage ich mich, ob sie nicht zu guter Letzt auch in dieser Sache recht behalten wird. Gänzlich auszuschließen ist es nicht."


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
17. Kleinere Katastrophen/S