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KAPITEL ANFANG |
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17 Kleinere |
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Es ist eine häufig übersehene Tatsache, daß die Schnelligkeit, mit der Katastrophen ablaufen, in einem eklatanten Mißverhältnis steht zur Langwierigkeit der Aufräumungsarbeiten, die sie erforderlich machen. Das anhaltende Echo des kurzen, weithin vernehmbaren Donnerschlags erreicht meist nur noch die Betroffenen. Aber dieser sich beständig vervielfältigende Widerhall des Ereignisses ist bisweilen schmerzlicher und schwerer zu ertragen als das Ereignis selbst. Mit solch unerfreulichen Zukunftsaussichten waren jetzt sowohl Catterina als auch Don Raffael konfrontiert, freilich unter verschiedenen Vorzeichen. Denn Don Raffael hatte zwar keinen Anteil an der Katastrophe gehabt, würde aber nun bestimmt auf Dauer mit ihren Folgen befaßt sein. Ereignisse und Taten würden sich in Papier verwandeln, Tinte würde ebenso reichlich fließen wie zuvor Blut, und ein neuer Aktenberg würde neben den Stapeln emporwachsen, die sich ohnehin schon auf seinem Schreibtisch türmten; und, kein Zweifel, das Gewicht dieser Akten würde noch schwerer auf seinem Gemüt lasten als auf seinem Schreibtisch. Nein, Don Raffael war nicht begeistert, und der verhältnismäßig glückliche Ausgang der Sache vermochte ihn nicht aufzuheitern. Während er mit einer hastig zusammengetrommelten Schar von Juristen und Sekretären die drei Anklageschriften vorbereitete, empfand er sogar ein wenig Neid auf Catterina und die Soldaten, die mit den Mördern in dem Saal eingeschlossen gewesen waren. Sie hatten einen wirklichen Kampf ausgefochten, Auge in Auge mit dem Gegner — das heißt, alles, was die Sache an Befriedigung hergab, war ihnen zugefallen. Für ihn selbst blieb bloß der Ärger. Es kam natürlich nicht in Frage, daß Don Raffael an diesem Abend noch einmal seinen Bruder aufsuchte. Einerseits konnte er sich nicht überwinden, Catterina aus den Augen zu lassen, andererseits war es unmöglich, sie in ihrem wenig appetitlichen Zustand vor dem fürstlichen Ruhelager zu präsentieren. Als er den Schauplatz der Katastrophe verließ, zog Don Raffael sich deshalb ohne längere Erwägungen unmittelbar ins Schlafzimmer zurück, schickte nach den beiden Hofdamen, bestellte ein heißes Bad für Catterina und ein Abendessen für vier Personen und stürzte sich lustlos aber entschlossen in den Papierkrieg. Da sowohl das Bad als auch das Abendessen Vorbereitung und daher Zeit benötigten, saß Catterina lange genug im Schlafzimmer, um mitzuerleben, wie es sich in das Hauptquartier des Generalstabs verwandelte. Auf Don Raffaels Befehl schaffte man einen langen Tisch und eine Menge Stühle herbei; man brachte Schreibunterlagen, Federn, Stöße von Papier, Tintenfässer, Streusand, Siegel und schließlich, nachdem die meisten Konferenzteilnehmer bereits eingetroffen waren, auch noch mehrere große Stapel Gesetzbücher und Gerichtsannalen. Als Catterina ihr Ankleidezimmer aufsuchte, um in das endlich angerichtete Bad zu steigen, war das Blättern, Exzerpieren, Erörtern und Aufsetzen in vollem Gange, und es konnte kein Zweifel mehr daran bestehen, welchem Zweck diese Aktivitäten dienten. Catterina gab keinen Klagelaut von sich, während man ihr die längst mit der Haut verklebten Kleider vom Leibe riß. Sie versank stumm in der brennendheißen Lauge, tauchte sogleich völlig darin unter und empfand das Gefühl des Verbrühtwerdens als Wohltat. Aber sie glaubte nicht, daß es etwas nützen würde. Das Wasser mochte noch so heiß sein — Erlebnisse wie dieses ließen sich nicht einfach abwaschen, sowenig, wie der Blutgeschmack sich mit einem Becher Wasser hinunterspülen ließ. Und als sie blütenweiß und nach Veilchen duftend aus dem Bad stieg, fühlte sie sich nicht weniger beschmutzt als zuvor. Sie weigerte sich rundweg, ins Schlafzimmer zurückzukehren, solange die Beratungen dort weitergingen. Nachdem man sie trockengerubbelt, massiert und gekämmt hatte, legte sie sich auf das Ruhelager im Ankleidezimmer und ließ sich eine Decke holen, da sie noch im Hemd war; dann lag sie eine geraume Weile still da und hörte, ohne es zu wollen, dem Stimmengewirr zu, das durch die angelehnte Tür drang. Von Zeit zu Zeit erschien Don Raffael, um sich zu vergewissern, daß alles in Ordnung war. Er zog sich stets nach einem kurzen Blick sofort zurück und stellte keine Fragen; und das war auch gut so, denn Catterina hätte ihm nicht geantwortet. Auch sie empfand ihm gegenüber etwas wie Neid. Er besaß schließlich die Macht, die ganze abscheuliche Affäre mit einem einzigen Federstrich zu den Akten zu legen. Und Catterina nahm es ihm sehr übel, daß er offensichtlich nicht gewillt war, dies zu tun. Wie das enden würde, war vorauszusehen. Auf den heimlichen, formlosen Mord würde nun der öffentliche, zeremonielle folgen, den man Strafe nannte, und der im besten Fall auch nichts weiter als Rache war. Aber Catterina fühlte kein Bedürfnis nach Rache. Sie hatte jetzt mehr als genug Blut gesehen und betete fast darum, daß Gottes Blitz diese Versammlung kaltblütiger Mörder zerschmettern möge, die hier ungerührt daran arbeitete, drei Mitmenschen ums Leben zu bringen — wenn es denn bei dreien blieb! —, und lediglich ein juristisches Problem darin erblickte. Das war Blasphemie, und Catterina würde es nicht tatenlos geschehen lassen. Nur — was sollte sie dagegen tun? Und ganz gewiß war sie zu erschöpft, um noch an diesem Abend etwas zu unternehmen. Das war ein weiser Entschluß, und weise wäre es gewesen, wenn Catterina dabei geblieben wäre. Aber leider zeigte sich nach dem Ende der Beratungen, als das Abendessen serviert wurde, daß ihre Schwäche zum Teil eine Folge des Hungers gewesen war. Don Raffael hatte immerhin noch das Feingefühl besessen, daran zu denken, daß sie vermutlich wenig Appetit haben würde, und hatte deshalb in der Küche ausrichten lassen, man möge sich unbedingt anstrengen — und bitte kein rotes Fleisch und nichts, was irgendwie den Gedanken an Blut aufkommen ließ! Das war ein Auftrag so recht nach dem Herzen von Don Francescos Küchenchef, der auf Don Francescos Wunsch nach leichtverdaulichem Essen spezialisiert war und, nebenbei gesagt, nahezu das Dreifache von dem verdiente, was alle vier fürstlichen Leibärzte zusammengenommen als Jahreshonorar erhielten. Er hatte die Gelegenheit genutzt, seinem künftigen Herrn zu beweisen, daß dieses Gehalt nicht verschwendet war, und das Resultat seiner Bemühungen stand in üppigstem Gegensatz zur Dürftigkeit des Vortags. Catterinas Widerwille gegen das Essen schmolz beim bloßen Anblick all dieser Köstlichkeiten dahin. Überbackene Austern, Morchelsuppe, Fischfilets, in Zitronenbutter gebraten, gesottene Flußkrebse mit Kräuterpüree, Spinatravioli, gefüllte Quitten, Kalbfleischröllchen, Wachteln in Weinblättern, Eierkuchen mit Trüffeln, mit Gemüse oder mit Obst, kandierte Früchte, Honigschaum und Marzipangebäck; kurz: es war ein Festessen, dem kein leerer Magen widerstehen konnte. So nahm das Unglück seinen Lauf... |
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TAURIS Roman von Pia Frauss 17. Kleinere Katastrophen/A |