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KAPITEL ANFANG |
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8 Rocca |
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Als der Fürst von Orsino am 19. Oktober 1558 Valanta verließ, konnte er nicht bezweifeln, daß er unwiderruflich für Zeit und Ewigkeit von der Stadt Abschied nahm. Er ging dennoch ohne Bedauern fort, und der letzte Blick, den er vom Schiff aus auf den Hügel warf, wo die Oberstadt behäbig und gelbleuchtend wie ein ruhender Löwe ausgestreckt dalag, war ein verächtlicher. Der Abscheu, den die Bürger ihm seine ganze Amtszeit hindurch entgegengebracht hatten, beruhte auf Gegenseitigkeit. Es war keineswegs Sympathie für die Kaufleute gewesen, was ihn bewogen hatte, sich in ihre Geschäfte zu mischen, und der jahrelange Umgang mit dem "Krämeradel", wie er sie nannte, hatte seine Abneigung eher verstärkt als vermindert. Dennoch hatte die Stadt keinen Grund, ihm an diesem Tag mangelnde Großzügigkeit vorzuwerfen. Bei Don Raffaels Hochzeit war auch sie mit Geschenken förmlich überschüttet worden: der Fürst hatte nicht nur eine bedeutende Summe zum größten Bauvorhaben der Stadt beigesteuert — nämlich, eine der beiden hölzernen Zarontabrücken, die häufig von Feuer oder Eisstößen zerstört wurden, durch eine steinerne zu ersetzen —, so daß es nun wohl schon im nächsten Frühjahr in Angriff genommen werden konnte; er hatte auch der Unterstadt ein neues Hospital und eine zusätzliche Pfarrkirche gestiftet, eine Erweiterung des Hafens in Auftrag gegeben und den Mietzins in allen Häusern, die ihm gehörten, für ein Jahr um ein Zehntel gesenkt. Während der Hochzeitsfeierlichkeiten waren vier Tage lang Unmengen von gebratenem Ochsenfleisch und gebrannten Mandeln an jedermann verteilt worden — in Anbetracht des hohen Zuckerpreises stellte besonders das Letztere einen unerhörten Luxus dar —; aus zwei Brunnen der Stadt war statt Wasser Wein geflossen; jeder Haushalt der Oberstadt hatte ein kleines Quantum Zucker, Pfeffer und Zimt geschenkt bekommen und jeder Haushalt der Unterstadt ein erheblich größeres Quantum Mehl. Von Geiz konnte folglich in Zusammenhang mit Don Raffaels Hochzeit keinesfalls die Rede sein. Allerdings veranlaßte auch dieser überreiche Segen die Bürger Valantas nicht, ihre Meinung über den Fürsten von Orsino grundlegend zu ändern. Sie waren allgemein des Glaubens, er habe angesichts seines bevorstehenden Todes begonnen, seine Sünden zu bereuen, und schrieben seine Geschenke dem Wunsch zu, sich allen begangenen Untaten zum Trotz einen Platz im Himmel zu erkaufen. Wenn es tatsächlich zutrifft, daß erwiesene Wohltaten den Wohltäter glücklich machen, so stellte Don Francesco unverkennbar eine Ausnahme von dieser Regel dar. Sei es, daß er seine verspätete Freigebigkeit nachträglich bedauerte, sei es, daß er die Reise nach Atthagra als allzu große Belastung empfand: seit dem Nachmittag des Kampfspiels legte er jedenfalls eine Übellaunigkeit an den Tag, die Catterina, sooft sie damit konfrontiert wurde, nur als teuflisch bezeichnen konnte. Dabei hatte Catterina noch Glück: da er sich in diesen Tagen kaum mit ihr befaßte, blieb sie weitgehend von seinen bissigen Bemerkungen verschont. Es war Don Raffael, über dem sich der fürstliche Zorn in seiner vollen Wucht entlud. Catterina hatte schon bei dem gemeinsamen Frühstück in Valanta bemerkt, daß Don Francesco sich nicht scheute, seinen Bruder vor Zeugen abzukanzeln; aber die kritischen Ausfälle jenes Morgens erschienen ihr im Rückblick bald wie ein sanfter Lufthauch, der den eigentlichen Sturm erst ankündigt. Laura Asturini war fraglos nicht das einzige Familienmitglied, das der Fürst gerne mit ätzendem Spott übergoß, und obwohl auch sie während der Reise nach Atthagra wenig zu lachen hatte, kam sie, verglichen mit Don Raffael, noch recht glimpflich davon. Offenkundig behandelte der Fürst sogar seine Sekretäre schonender als seinen Bruder; wenn er mit ihnen sprach, war sein Tonfall merklich höflicher, seine Wortwahl niemals verletzend: sofern er Kritik äußerte, blieb sie kühl und sachbezogen. Don Raffael dagegen wurde scheinbar nur deshalb kritisiert, weil er Don Raffael war. Sein unermüdlich höfliches Betragen den Gastgebern der einzelnen Reiseetappen gegenüber, seine allzu prächtige Kleidung, die angeblich übertriebene Sorgfalt, die er darauf verwandte, sein mangelnder Geschäftsverstand und seine Unbesonnenheit bildeten Ausgangspunkte und Refrain der Mängelliste, die der Fürst Abend für Abend neu zusammenstellte, und deren übrige Posten er mit wahrhaft unerschöpflichem Scharfsinn zu variieren vermochte. Während der viertägigen Reise verging kein Abendessen, bei dem Catterina nicht die Begriffe Dummheit, Eitelkeit, Leichtsinn und Verschwendungssucht, auf Don Raffael gemünzt, zu hören bekam. Jede Äußerung Don Raffaels wurde unbarmherzig in ihre Bestandteile zerpflückt und als haltloser Unsinn entlarvt; es schien, als sei der Fürst plötzlich nicht mehr imstande, sich mit seinem Bruder an einen Tisch zu setzen, ohne sogleich mit einer kränkenden Bemerkung über ihn herzufallen. Die Anwesenheit zahlreicher Zeugen — Diener, Sekretäre, die jeweiligen Gastgeber und deren Familie, Herzog, Herzogin, Catterinas und Laura Asturinis Hofdamen — störte ihn dabei nicht im geringsten. Auf diese Weise wurde jedes Abendessen zu einer langwierigen Tortur, der Catterina den ganzen Nachmittag hindurch entgegenzitterte. Bei jenem Streit zwischen den Brüdern, der sich am letzten Abend in Valanta an der Diskussion von Don Raffaels Turnierauftritt entzündete, hatten Catterinas Sympathien noch uneingeschränkt dem Fürsten gegolten; sie fand seine Empörung gerechtfertigt und seine Beweisführung überzeugend. Aber schon in der darauffolgenden Nacht hatte ihr Eindruck sich leicht verschoben. Nach jenem Abendessen hatte sie in Don Raffaels Begleitung das Theater Valantas besucht, um ein Satyrspiel des Euripides, Alkestis, anzusehen. Ein Theaterbesuch bildete den üblichen Abschluß jeder adligen und großbürgerlichen Hochzeit: er krönte gleichsam die Einführung der Braut in ihre neuen Rechte als Ehefrau. Das fragliche Stück war zudem eigens und auf Don Raffaels ausdrücklichen Wunsch hin für diesen Anlaß einstudiert worden. Es behandelte den Opfersinn einer Königin der griechischen Sage, die es auf sich nahm, stellvertretend für ihren Ehemann zu sterben. Die Komik des Stücks ergab sich aus den eingestreuten burlesken Szenen und dem Umstand, daß der Ehemann unablässig Eigenschaften an den Tag legte, die zeigten, wie wenig er das hochherzige Opfer seiner Gattin verdiente. Dabei machte Catterina abermals die Erfahrung, daß Don Raffael Dinge, an denen sich alle Welt ergötzte, nicht erheiternd fand. Er saß den ganzen Abend ernst, fast trübselig, neben ihr, ohne auch nur ein einziges Mal zu lachen; und nach der Rückkehr in die Casa Reale verabschiedete er sich vor der Tür ihres Ankleidezimmers, indem er Catterina bat, nicht auf ihn zu warten: er wolle noch Don Francesco aufsuchen, und die Unterredung könne womöglich länger dauern. Catterina glaubte ihm nicht. Sie nahm an, daß dies Don Raffaels erster Versuch war, sich die Freuden, die sie ihm vorenthielt, außerhalb des Ehebetts zu suchen; und da sie sehr lange Zeit hatte, über ihren Verdacht nachzugrübeln, verdichtete er sich allmählich zur Gewißheit. |
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TAURIS Roman von Pia Frauss 8. Rocca dei Marulani/A |