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MITTE
TAURIS oder Catterinas Entjungferung
Ein ahistorischer Roman von Pia Frauss
 

Bekenntnisse


(Auszug aus Kap. 8)


 
 
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In dieser Nacht gingen sie sehr spät zu Bett. Das lange Gespräch, das sie nach dem Rückzug der Hofdamen führten, befaßte sich vorwiegend mit Don Francesco. Es begann damit, daß Don Raffael die Entschuldigung wiederholte, die er im Speisesaal demonstrativ geäußert hatte, und hinzufügte, man müsse Don Francescos Krankheit berücksichtigen — von einem Sterbenden dürfe man nun einmal nicht erwarten, daß er stets gut gelaunt sei! —; und zudem trage vermutlich er selbst die Hauptschuld an Don Francescos gegenwärtigem Zorn. "Soviel ich auch überlege," sagte er mit einem tiefen Seufzer, "mir fällt keine andere Erklärung ein, als daß ich einen argen Fehler begangen habe, indem ich darauf bestand, an diesem Turnier teilzunehmen; und ich weiß nicht, wie ich das wiedergutmachen soll."

Catterina begriff, daß ihr hier die Rolle einer Stichwortlieferantin zufiel, und fragte entgegenkommend nach dem Warum — eine Frage, auf die Don Raffael dankbar einging. "Er hat meinen Wünschen in letzter Zeit weit mehr nachgegeben als früher und wohl insgeheim gehofft, daß ich mich dafür erkenntlich zeigen würde, indem ich auf die Turnierteilnahme verzichtete! Wenn das zutrifft, dann habe ich ihn grausam enttäuscht, und in einem solchen Fall kann es sehr lange dauern, bis er mir verzeiht! Vielleicht hat er bei dem Turnier auch wirklich Angst gehabt; und seine Angst ist noch jedesmal in Zorn umgeschlagen, sobald die Gefahr vorüber war. Ich mache mir nun doch Vorwürfe, weil ich das nicht vorhergesehen habe, und kann Don Francesco nicht unbedingt dafür grollen, daß er sich nach Kräften zu rächen versucht. Dennoch muß ich darauf bestehen, daß er Euch in Ruhe läßt, und er weiß sehr gut, daß ich herabsetzende Bemerkungen Euch gegenüber nicht dulden kann."

Diesmal entsprang Catterinas Frage nach dem Warum wesentlich eher echter Neugierde, und Don Raffael erklärte ihr, es handle sich hierbei um ein Problem, das sich aus dem Unterschied zwischen ihrer und seiner Stellung in der Familie ergebe: "Im Gegensatz zu Euch bin ich schon als Roccaferrata zur Welt gekommen, und außerdem weiß jedes Mitglied der Hofgesellschaft, wie Don Francesco zu mir steht! Wenn er mit geringschätzigen Sticheleien über mich herfällt, so sieht niemand etwas anderes darin als einen Ausdruck seiner schlechten Laune, und im allgemeinen schadet es meinem Ansehen kaum; denn sicher ist, daß er jeden Unbefugten, dem es einfiele, mich in ähnlicher Weise anzugreifen, noch über das Grab hinaus verfolgen würde! Jede Kritik an Euch aber, die er in der Öffentlichkeit äußert, muß unweigerlich den Eindruck hervorrufen, daß Don Francesco die Heirat letzten Endes doch mißbilligt, und der Schaden, den Euer Ansehen dadurch nehmen kann, läßt sich nicht abschätzen. Don Francesco weiß das, und deshalb muß ich sein Benehmen heute abend dem Wunsch zuschreiben, einen Konflikt gewaltsam herbeizuführen."

Hier wagte Catterina endlich die Frage zu stellen, die ihr seit Stunden vordringlich schien: welche Folgen der Zwischenfall denn haben könne?

"Das weiß ich selbst noch nicht," erwiderte Don Raffael langsam, den Blick auf das Schachbrett geheftet. "Um mit der schlimmsten Möglichkeit zu beginnen: denkbar ist, daß Don Francesco morgen früh die Reise abbricht und nach Orsino zurückkehrt, und daß der König sich daraufhin weigert, Euch zu empfangen. Aber ich glaube nicht, daß Don Francesco das tun wird."

Catterina fragte abermals nach dem Warum, und Don Raffael eröffnete ihr mit der größten Selbstverständlichkeit: "Er weiß genau, daß er mich in einem solchen Fall nie wiedersehen würde! Ich würde auf meine Erbansprüche verzichten und den Familiennamen ablegen."

Catterina nahm diese Erklärung mit der angebrachten Fassungslosigkeit zur Kenntnis und war erst nach einer längeren Pause zu einem Kommentar fähig. "Ich kann nicht glauben, daß Ihr so etwas meinetwegen tun würdet."

"Natürlich würde ich es nicht Euretwegen tun, Liebste! Ihr wärt der Anlaß, aber nicht die Ursache! Ich halte schon seit Jahren Ausschau nach einem Vorwand, der mir erlauben würde, dieses Erbe abzulehnen, das ich mir weiß Gott niemals gewünscht habe. Ich wollte nie etwas anderes sein als ein wohlhabender Privatmann."

Da wagte Catterina einen Frontalangriff. "Habt Ihr mich deshalb geheiratet?"

"Ich habe keinen Augenblick lang mit einer solchen Entwicklung gerechnet, als ich mich zu dieser Heirat entschloß," versicherte Don Raffael völlig unerschüttert, "und übrigens glaube ich auch jetzt nicht, daß es so weit kommen wird. Denn seht Ihr..." Er dachte ein wenig darüber nach, ob und wie sich die Sachlage erklären ließ, und begann plötzlich zu lächeln, weil ihm eine Besonderheit an der unvollendeten Schachpartie auffiel, die sich gut zur Veranschaulichung des Problems eignete. "Sagen wir es so: mein Wunsch, aus der Familie auszuscheiden, schien bisher nicht weniger hoffnungslos als die Position Eurer Farbe hier auf dem Schachbrett! Sollte Don Francesco sich aber zu dem schwerwiegenden Schritt entschließen, den ich Euch genannt habe, dann wird es sein, als hätte er — das getan!" Er nahm eine seiner Spielfiguren auf, schlug damit eine von Catterinas verbliebenen fünf Figuren und wies, während er diese vom Brett entfernte, auf die völlig veränderte Situation. "Könnt Ihr begreifen, was geschehen ist?"

Catterina starrte mit gefurchter Stirn auf das Brett. "Ihr seid matt," sagte sie endlich zögernd. "Ihr habt meine Dame mit Eurem Bauern geschlagen, und Euer Bauer stand als einzige Figur zwischen meinem Turm und Eurem König."

"Ganz richtig! Das ist natürlich ein heilloser Fehler von der Sorte, wie sie nur sehr ungeübten Schachspielern unterläuft; aber zu denen gehört Don Francesco gewiß nicht! Und deshalb kann ich auch nicht glauben, daß er einen Schritt tun wird, der ebenso voreilig und leichtsinnig wäre wie dieser Schachzug; denn er ist ein ausgezeichneter Stratege, und seine Gefühle überwältigen ihn selten so vollständig, daß er seine Lage nicht mehr richtig einschätzen kann. Ich rechne deshalb eher damit, daß er sich morgen benehmen wird, als sei gar nichts geschehen. Auf eines freilich solltet Ihr nicht hoffen: daß er sich entschuldigen wird! Und beim gegenwärtigen Stand der Dinge darf man das auch gar nicht wünschen; denn die Erfahrung hat gezeigt, daß Don Francesco die Notwendigkeit, sich zu entschuldigen, nur in solchen Momenten einsieht, wo er sich besonders elend fühlt und mit seinem bevorstehenden Tod rechnet. Seit Beginn des Jahres ist es zweimal vorgekommen, daß er sich bei mir entschuldigt hat; aber das war beidemale kein Anlaß zur Freude!"

"Ich weiß nicht..." sagte Catterina, immer noch etwas zaghaft, und wagte erst nach einem ermunternden "Ja —?" die Frage zu äußern, die ihr zu denken gab. "Warum wollt Ihr nicht Fürst von Orsino werden? Solange ich von Euch weiß, hat jedermann, der von Euch sprach, Euch für den zukünftigen Fürsten von Orsino gehalten, und was Ihr da vorhin gesagt habt, scheint mir vollkommen unbegreiflich!"

"Liebste," versetzte Don Raffael nicht ohne Ironie, "ich hatte eigentlich gehofft, daß gerade Ihr imstande sein würdet, mich zu verstehen. Überlegt doch! Glaubt Ihr nicht, daß Ihr Euch in einer ganz ähnlichen Lage befindet? Eure Abneigung gegen die Heirat mit mir dürfte sich, was die Unbegreiflichkeit anbelangt, durchaus mit meinem Wunsch vergleichen lassen!"


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TAURIS
Roman von Pia Frauss
8. Rocca dei Marulani M