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KAPITEL MITTE |
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Der Apfel(Auszug aus Kap. 6) |
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Sobald alle Geschenke überreicht waren, versammelten sich die als antike Götter kostümierten Mitglieder des Chors, um das Brautpaar hochleben zu lassen und einen Lobgesang auf die Freuden und den Nutzen des Ehestands anzustimmen. Das anschließende Ballett wirkte wie ein Finale, wurde aber durch den Auftritt einer in furioses Rot gekleideten und rot maskierten Gestalt unterbrochen, die sich wortreich beschwerte, nicht eingeladen worden zu sein. Am Ende ihrer Tirade ergriff sie einen goldenen Apfel, der zwischen den anderen Geschenken auf dem Tisch lag, und warf ihn mit einer wütenden Geste unter die Götterversammlung. Hier folgte ein Tanz, in dem drei mehr oder minder leicht bekleidete Göttinnen den Apfel nacheinander für sich forderten, um sich dann auf höchst graziöse Weise darum zu balgen. Während sie noch tanzten, mischte sich der Erzähler in das Geschehen und verkündete, nun werde man der staunenden Nachwelt zeigen, wie der trojanische Krieg hätte vermieden werden können; und auf diese Behauptung hin überreichte eine der Göttinnen den Apfel zum allgemeinen Gaudium dem Stadtvorsteher. Die komische Wirkung kam einerseits dadurch zustande, daß dieser würdige Herr, wohlbeleibt und fast kahlköpfig, im vollen Schmuck seines Amtsornats, keinerlei Anspruch darauf erheben konnte, dem Paris zu gleichen; andererseits aber war er auch offensichtlich auf eine solche Entwicklung nicht gefaßt gewesen und starrte deshalb eine Weile verdutzt auf das Ding nieder, das man ihm unversehens in die Hand gedrückt hatte. Da er jedoch den Apfel als ein von Valentin Rascari in Auftrag gegebenes, für Catterina bestimmtes Geschenk der Stadt kannte, blieb er nicht lange im Zweifel über das, was man von ihm erwartete. So trat er denn auf Catterina zu und präsentierte ihr den Apfel mit einem wenig eleganten Kniefall. "Königliche Hoheit," sagte er dabei, "die Stadt Valanta bittet Euch, dieses Geschenk als ein Zeichen ihrer Hochachtung und Wertschätzung anzunehmen." Mit solchen Formulierungen pflegte er gewöhnlich Geschenke anzubieten. In dem Zusammenhang, in dem er gezwungen war, sie zu äußern, wirkten seine Worte freilich unbeholfen und geistlos; aber Improvisationsgabe hatte noch nie zu den Tugenden des Stadtvorstehers gehört — ein Mangel, unter dem er an diesem Abend mehr als jemals vorher leiden sollte. Catterina nämlich, von den Ereignissen nicht weniger überrascht als er, nahm das Geschenk zwar mechanisch aus seiner Hand entgegen, betrachtete es dann aber gleichfalls eine Weile, ohne sich zu äußern, und sah gar nicht erfreut aus. Es handelte sich unleugbar um ein Meisterwerk der Goldschmiedekunst, das in Größe und Form einem wirklichen Apfel geschickt nachgebildet war. Er ließ sich, wie Catterina später feststellte, in zwölf einzelne Spalten zerteilen und gab dann einen kunstvoll geschnitzten elfenbeinernen Kern mit allegorischen Darstellungen der zwölf Monate frei. Die Oberfläche aus massivem Gold war mit Ornamenten aus Diamantsplittern verziert und trug, aus kleinen Rubinen zusammengesetzt, die Inschrift "der Schönsten". Nachdem Catterina diesen Text eingehend studiert hatte, hob sie den Blick und wurde sich errötend bewußt, daß alle Welt sie neugierig anstarrte. "Verehrter Herr," sagte sie daher zögernd, "ich bin gerührt und dankbar, ein so schmeichelhaftes Geschenk von meiner Vaterstadt zu erhalten, umso mehr, als ich durchaus begreife, was es sie kosten muß, mir eine ... eine solche Huldigung zukommen zu lassen! Dennoch fürchte ich, daß ich der großen Ehre, die man mir damit erweist, gar nicht würdig bin! Wenn ich mich umsehe, scheint mir, daß mehr als eine Dame hier im Saal mit gutem Grund behaupten kann, schöner als ich zu sein. Seid Ihr sicher, daß Ihr dieses Geschenk mit Eurem Gewissen vereinbaren könnt?" Während sie sprach, fiel ihr Blick auf die Darstellerin der Aphrodite, ein wahres Muster weiblicher Schönheit, deren spärliches Kostüm wenig Zweifel daran zuließ, daß sie neben ihrem Beruf als Tänzerin noch einem zweiten, vermutlich weit einträglicheren, oblag, für den sie mit Sicherheit alle notwendigen natürlichen Voraussetzungen besaß. Sie trug nichts weiter als ein über der linken Schulter in zierliche Falten drapiertes Stück durchsichtigen Stoff, das in der Taille durch einen Gürtel festgehalten wurde. Es ließ die linke Brust völlig unbedeckt und verhüllte kaum etwas von den übrigen Reizen seiner Trägerin. Catterina kämpfte nicht wenig und glücklicherweise mit Erfolg gegen den Wunsch an, das Geschenk der Stadt unverzüglich an dieses göttliche Geschöpf weiterzugeben, das gewiß am ehesten Anspruch darauf erheben konnte; für einen solchen Affront reichte ihr Mut jedoch auch hier nicht aus. Die Sache lag ohnehin genug im Argen. Als Catterinas Zorn sich über seinem unseligen und zudem weitgehend unschuldigen Haupt entlud, trat dem Stadtvorsteher sichtbar der Angstschweiß auf die Stirn. Er rang sekundenlang um Fassung, befeuchtete seine Lippen mit der Zunge und warf einen hilfeflehenden Blick auf Raffael de Roccaferrata, der in seinen Sessel zurückgelehnt dasaß und offenbar nicht gesonnen war einzugreifen. Don Raffaels Blick war amüsiert, aber nicht ohne Strenge, und der Stadtvorsteher begann sich verstört zu fragen, womit die Stadt Don Raffael gekränkt haben mochte — Überlegungen, die seiner Geistesgegenwart nicht zuträglich waren. So benötigte er eine langwierige Bedenkpause, bevor er sich zu einer Antwort durchringen konnte, und es war purer Zufall, daß Catterina bei dieser Gelegenheit nicht die Schuld an seinem vorzeitigen Tod auf sich lud. Dann, endlich, stammelte er kurzatmig etwas von Catterinas Bescheidenheit, und daß die Stadt womöglich besser daran getan hätte, das Geschenk mit der Aufschrift "der Bescheidensten" zu versehen; aber er wolle ... und könne jederzeit mit reinem Gewissen beschwören, daß die gegenwärtige Widmung ... der Wahrheit genauso vollkommen entspreche! Seine Verwirrung trug mehr als der Inhalt seiner Behauptung dazu bei, die Situation zu retten. Von Reue und Mitgefühl ergriffen, erhob sich Catterina, um ihm beim Aufstehen behilflich zu sein. "Wenn ich auch glaube, daß ich hier über mein Verdienst gelobt werde," sagte sie dabei, "so danke ich Euch und der Stadt doch von Herzen für dieses kostbare Geschenk! Ich weiß es wohl zu schätzen und werde es stets in Ehren halten. Es soll mich allezeit an die Freundlichkeit und Achtung erinnern, welche die Stadt Valanta mir bei meiner Hochzeit erwiesen hat." Diese Worte waren zwar doppeldeutig, klangen aber dennoch versöhnlich; und so vermochte der Stadtvorsteher leidlich beruhigt auf seinen Platz zurückzukehren. Der Vorfall stürzte ihn freilich so sehr in Selbstzweifel, daß er ganz gegen seine Gewohnheit noch tagelang darüber nachsann, ob er sich wirklich richtig verhalten hatte, und was er in dieser Lage wohl sonst hätte sagen können. Sein Unbehagen konnte nicht größer sein als dasjenige Catterinas. Sobald sie sich wieder gesetzt hatte und das Spiel seinen Fortgang nahm, begann ihr Gewissen sie zu plagen. Der Apfel, den sie noch immer festhielt, brannte förmlich in ihrer Handfläche; zunehmend litt sie unter der Einsicht, sich wieder einmal unbesonnen und rücksichtslos verhalten zu haben. Sie war überzeugt, daß Don Raffael erzürnt sein mußte über diesen neuerlichen Beweis ihres Mangels an Höflichkeit, den er ihr schon am Morgen mit so bewundernswertem Geschick vorgeworfen hatte. Und da Catterina aus Gründen, die sie vergeblich zu begreifen versuchte, große Angst vor Don Raffaels Zorn empfand, saß sie während der gesamten Dauer der folgenden Szene geistesabwesend in ihrem Sessel, ohne etwas von der Geburt Achills wahrzunehmen, mit der diese Szene sich befaßte. Erst während des abschließenden Chorlieds wagte sie einen scheuen Blick auf Don Raffael zu werfen. Er wandte ihr den Kopf zu, als sie ihn ansah, und Catterina begegnete zu ihrem grenzenlosen Erstaunen einem halb anerkennenden, halb aufmunternden Lächeln, das nicht einmal durch einen Schatten von Mißbilligung beeinträchtigt wurde. |
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TAURIS Roman von Pia Frauss 6. Das Hochzeitsfest M |